akanalyse und kritik Nr. 552 vom 20.8.2010

 

Kurdische Befreiungsbewegung

 

In ihrem Buch „PKK. Perspektiven des kurdischen Befreiungskampfes“ analysieren Nikolaus Brauns und Brigitte Kiechle die ideologischen Umbrüche in der PKK seit ihrer Entstehung. Der Schwerpunkt liegt in der Entwicklung seit Öcalans Entführung aus Kenia 1999. Sowohl die organisatorischen Umgestaltungen hin von der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) zum KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) als auch die neue auf basisdemokratischen Vorstellungen beruhende Ideologie des „Demokratischen Konförderalismus“ sind auch in großen Teilen der deutschen Linken wenig bekannt.

 

Das Buch befasst sich jedoch nicht nur mit der PKK im engeren Sinne, sondern geht von der PKK als Motor aus, um die emanzipatorische Dynamik in der kurdischen Gesellschaft in den letzten Jahren zu beschreiben. Detailliert werden die Chancen und Grenzen ausgelotet, die sich PolitikerInnen der kurdischen Partei DTP (nach deren Verbot im Dezember 2009 jetzt BDP) bieten, die in den kurdischen Städten mittlerweile die Mehrheit der BürgermeisterInnen stellt, gerade weil sie sich nicht von der PKK distanzieren.

 

Ein eigenes Kapitel ist der kurdischen Frauenbewegung gewidmet. Abgesehen von einer eigenen Frauenarmee innerhalb der PKK-Guerilla sind vor allem Frauen auf der zivilgesellschaftlichen Ebene in allen Bereichen aktiv und stehen somit auch immer mehr im Fokus der Repression durch den türkischen Staat. Nicht zuletzt die emanzipatorische Frauenpolitik der kurdischen Bewegung sorgt zunehmend für eine Ausstrahlung des Einflusses der PKK auch auf die nichttürkischen kurdischen Gebiete und ein zunehmendes Interesse in Europa.

 

Die bestehende AKP-Regierung unter Erdogan, die von den Kommentatoren (fast) aller deutscher Zeitungen als Garant für eine Demokratisierung der Türkei und die Lösung der kurdischen Frage gefeiert wird, dekonstruiert das vorliegende Buch bezüglich ihrer widerstrebenden Verpflichtungen gegenüber der aufstrebenden liberalen anatolischen Bourgeoisie und der teils reaktionären islamischen Wählerschaft. Es wird überzeugend dargelegt, wie der Kampf gegen die kurdische Befreiungsbewegung sowohl in ihrer militärischen und als auch zivilgesellschaftlichen Ausprägung die gemeinsame Klammer zwischen der AKP, den kemalistischen Eliten und dem Militär bildet.

 

Über die Situation in der Türkei hinaus wird auch die Umbruchssituation im mittleren Osten nach dem Einmarsch der USA in den Irak und der damit verbundenen Etablierung einer kurdischen Autonomieregion im Nordirak analysiert. Auf Druck der USA, von deren Wohlwollen die kurdische Autonomieregierung unter Präsident Barzani abhängt, sieht diese sich gegen die Überzeugung der eigenen kurdischen Bevölkerung immer stärker gezwungen, mit der Türkei gegen die PKK zu paktieren.

 

Das vorliegende Buch von Brauns und Kiechle befasst sich solidarisch, aber nicht kritiklos mit dem Stand und der Entwicklung der kurdischen Befreiungsbewegung im Umfeld der PKK. Aufgrund des umfassenden Ansatzes, der Aktualität, den detaillierten Quellenangaben und nicht zuletzt des Umfangs von 500 Seiten wird es für lange Zeit einen Standard bilden für alle, die sich mit der Situation in Kurdistan auseinandersetzen wollen.

 

Elmar Millich