Aus: junge Welt Ausgabe vom 24.08.2015, Seite 4 / Inland

Vom Jäger zum Gejagten

Türkei fordert von BRD Auslieferung von geflohenen Staatsanwälten

Von Nick Brauns

Einst schickte er als Staatsanwalt mit Sondervollmachten Hunderte Gegner der türkischen Regierung unter konstruierten Terrorismusvorwürfen ins Gefängnis. Jetzt ist Zekeriya Öz selbst zum Gejagten geworden. Die türkische Justiz wirft dem Juristen die »Bildung einer kriminellen Vereinigung« und den »Versuch des gewaltsamen Sturzes der Regierung« vor. Einen halben Tag bevor ein Haftbefehl erlassen wurde, setzte sich der offenbar vorgewarnte 47jährige Jurist am 10. August gemeinsam mit zwei weiteren gesuchten Staatsanwälten, Celal Kara und Mehmet Yüzgec, über Georgien und Armenien ab. Seit dem 11. August sollen sich Öz und Kara Medienberichten zufolge in einem Hotel in Frankfurt am Main aufhalten. Die Staatsanwaltschaft im Istanbuler Bezirk Bakirköy hat Mitte letzter Woche beim Justizministerium die Beantragung eines Interpol-Haftbefehls gegen Öz und Kara erbeten.

Öz und die beiden anderen flüchtigen Staatsanwälte gehören der religiös-konservativen Bruderschaft des im US-Exil lebenden pensionierten Imam Fethullah Gülen an. Zwischen der Gülen-Bewegung, die seit den 70er Jahren den Staatsapparat unterwandert hatte, und Erdogans Regierungspartei AKP bestand jahrelang ein enges Bündnis. Mit Erdogans Rückendeckung ließ Öz als Staatsanwalt mit Sondervollmachten ab 2008 Hunderte hochrangige Militärs und Angehörige der säkular-kemalistischen Staatsbürokratie ins Gefängnis werfen. Der Vorwurf lautete auf Bildung einer nationalistischen Putschistenloge namens »Ergenekon«. Zweifel an der Redlichkeit von Öz kamen spätestens 2010 auf, als dieser auch die bekannten militärkritischen Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener mit derselben Begründung verhaften ließ. Deren »Verbrechen« hatte darin bestanden, kritische Bücher über die Unterwanderung der Polizei durch die Gülen-Bewegung verfasst zu haben. Die im Sommer 2013 aufgrund offensichtlich gefälschter Beweise zu hohen Haftstrafen verurteilten Beschuldigten kamen bereits im folgenden Jahr wieder frei. Denn wenige Monate nach der Ausschaltung ihrer gemeinsamen säkularen Gegner zerbrach die Allianz von Erdogan und Gülen im Streit um Pfründe und Pöstchen. Auf Erdogans Ankündigung, die Privatschulen der Gülen-Bewegung zu schließen, reagierte Öz im Dezember 2013 mit einem Korruptionsermittlungsverfahren gegen AKP-Politiker und regierungsnahe Unternehmer, darunter mehrere Minister und Erdogans Sohn Bilal. Erdogan sah darin – nicht zu Unrecht – den Versuch eines Justizputsches durch einen gülenistischen »Parallelstaat« gegen seine Regierung. Seitdem herrscht offener Krieg zwischen der AKP-Regierung und der zur staatsfeindlichen Vereinigung erklärten Gülen-Bewegung.

»Deutschland beherbergt die Verräter«, titelte die AKP-nahe islamistische Tageszeitung Akit nach der Flucht der Staatsanwälte. In Deutschland können diese Staatsanwälte auf eine breite und mit der deutschen Politik vernetzte Infrastruktur des Gülen-Netzwerkes zurückgreifen. Eine Auslieferung der Juristen an die Türkei erscheint unwahrscheinlich. Schließlich gilt die Gülen-Bewegung, deren fanatisch-antikommunistischer Guru seit den 60er Jahren Beziehungen zum US-Geheimdienst CIA unterhält, als Bündnispartner der Vereinigten Staaten. Auch die Bundesregierung hat auf eine Anfrage der Linksfraktion Kooperationen mit Gülen-nahen Vereinigungen unter anderem im wirtschaftspolitischen Bereich eingestanden.

Doch nicht nur die Anwesenheit von Öz könnte zur Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen beitragen. Die sind nach dem für Ankara überraschend angekündigten Rückzug der Bundeswehr-»Patriot«-Raketen aus der Türkei ohnehin schon angekratzt. Im September beginnt vor dem Koblenzer Oberlandesgericht ein Prozess gegen drei Türken, denen Agententätigkeit für den türkischen Geheimdienst vorgeworfen wird. Die Männer – darunter der Erdogan-Vertraute Muhammed Taha G. – sollen neben kurdischen und alevitischen Verbänden auch die Gülen-Bewegung in Deutschland ausspioniert haben. Ihre Festnahme erfolgte im vergangenen Dezember, wenige Tage nach einer von der Bundesregierung missbilligten Polizeirazzia bei der zum Gülen-Netzwerk gehörenden Tageszeitung Zaman und dem Fernsehsender Samanyolu in Istanbul. Da die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem türkischen Geheimdienst etwa bei der Verfolgung kurdischer Aktivisten eng ist, erscheint die Anklage gegen die mutmaßlichen Spione somit eher als Retourkutsche auf Erdogans Drohung, auch im Ausland gegen Strukturen des »Parallelstaates« vorgehen zu wollen.