Schafft Rote Hilfe!
Ein seit langem notwendiges Standardwerk liegt endlich vor
Wer in einer gut sortierten Zeitschriftensammlung
stöbert, der stößt beim Jahrgang 1996 auf das Sonderheft "Vorwärts und
nicht vergessen. 70/20 Jahre Rote Hilfe?" Sehr gelungen bietet die Ausgabe
einen reich bebilderten und übersichtlich gestalteten Abriss v.a. über die
Geschichte der historischen Roten Hilfe (RH). Das gilt auch für das neue und
imposante Buch "Schafft Rote Hilfe" von Nikolaus Brauns, das auf 348
großformatigen Seiten einen Zeitraum von 1919 bis 1938 umfasst. Es ist die
erste Gesamtdarstellung über eine Organisation, die nicht nur in der
bürgerlichen Geschichtsschreibung über die Weimarer Republik oft übergangen
wird.
Als Organisation für die Unterstützung politischer Verfolgter hatte die RH über
500.000 Mitglieder und die Unterstützung von rund 300 Anwälten. Sie war zwar
eindeutig eine Vorfeldorganisation der KPD, setzte sich aber auch für
Nicht-Parteimitglieder ein. Beispielsweise 1928 wurden 28.000 Inhaftierte und
ihre Angehörigen rechtlich, finanziell und moralisch unterstützt, sowie 27.000
Menschen Rechtsschutz gegeben.
Das gut geschriebene und strukturierte Buch muss man keinesfalls chronologisch
lesen. Im Gegenteil liest man sich fest, wo man es aufschlägt. Da sind etwa
Kapitel über Strategien der RH im Kampf gegen die Weimarer Klassenjustiz. Da
sind die unvergessen Kampagnen zur Freiheit von Max Hölz oder der
Gewerkschaftsaktivisten Sacco und Vanzetti, die in den USA hingerichtet werden
sollten (was an die von der heutigen Roten Hilfe unterstützten Kampagne für
Mumia Abu-Jamal erinnert). Außerdem ist die Unterstützung der RH durch so
namhafte Personen wie Kurt Tucholsky, Albert Einstein und Thomas Mann
dokumentiert. Spannend auch ein Kapitel über den illegalen Apparat für
Passfälschung und Fluchthilfe. Ebenso interessant liest sich die Strategie des
trojanischen Pferdes während der Zeit des Faschismus. Nicht unerwähnt bleibt
auch, dass die Internationale RH unter Stalin Opfer von Säuberungen wurde.
Insgesamt hat Brauns ein Standardwerk vorgelegt, das auf viel Archivmaterial
gestützt im besten Sinne wissenschaftlich fundiert ist, dabei aber zurecht
keinen Wert auf Unparteilichkeit legt. Insofern dokumentiert der Titel
"Schafft Rote Hilfe!" ein historisches wie aktuelles Motto zugleich.
Denn seit fast 30 Jahren gibt es wieder eine RH zur Unterstützung
kriminalisierter AktivistInnen.
G.
Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2003,
32 Euro
Aus: TERZ - autonome Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf und Umgebung, 02/04