SoZ -
Sozialistische Zeitung, April 2004, Seite 21
Im vorigen Jahr sind zwei Darstellungen über die
wichtigste und angesehenste »Vorfeldorganisation« von Komintern und KPD in den
20er und 30er Jahren erschienen: Die Rote Hilfe. Das Buch von Nikolaus Brauns
ist eine Darstellung der Roten Hilfe Deutschlands. Das von Hering/Schilde
herausgegebene Buch hat auch die internationale Organisation im Blick, legt
seinen Schwerpunkt aber auf die sozialen und pädagogischen Aktivitäten der
Roten Hilfe in Deutschland. Es sind die ersten umfassenden Darstellungen zur
Roten Hilfe (RH).
Dabei
war sie die größte und auch über kommunistische Kreise hinaus angesehenste von
allen der KPD nahestehenden Organisationen. Das lag daran, dass sie sich nicht
nur für KPD-Mitglieder sondern für alle Linke, die von politischer Repression
betroffen waren, einsetzte. Ob das nun Anarchisten wie Sacco und Vanzetti oder
sozialdemokratische Reichsbannerleute waren, die in Auseinandersetzungen mit
den Nazis verwickelt waren, die Rote Hilfe half mit Anwälten und Geld.
Dabei
agierte sie nicht im luftleeren Raum. Die SPD verbot ihren Mitgliedern den
Beitritt zur RH, die bürgerlichen Behörden betrachteten sie als eine besonders
gefährliche kommunistische Organisation und die KPD zwang auch der RH ihre
Eskapaden wie die Sozialfaschismusthese oder den Nationalkommunismus auf.
Trotzdem blieb die RH eine funktionsfähige Organisation, die auch über die
Partei hinaus Unterstützung leisten konnte.
Anschaulich
werden in dem Buch von Brauns die Kampagnen für Sacco und Vanzetti, Max Hölz,
Carl Peters usw. geschildert. Auch der Einsatz der RH für umstrittene Gestalten
wie Richard Scheringer und Claus Heim, die eher der politischen Rechten
angehörten und aufgrund eines merkwürdigen Kurses der KPD, der Anfang der 30er
Jahre die nationale Befreiung programmatisch vor die soziale Befreiung setzte,
von der RH unterstützt wurden, wird nicht überschlagen. Ein weiteres Kapitel,
das von Brauns kritisch bearbeitet wird, ist das Verhältnis der RH zur politischen
Repression in der Sowjetunion unter Stalin. Aufgrund der engen Bindung der KPD
an die stalinsche KPdSU konnte die RH natürlich die Verfolgung politisch
Andersdenkender in der Sowjetunion nicht thematisieren.
Man
sieht also, dass Brauns neben dem vielen Positiven, das über die RH gesagt
werden muss, das Negative nicht vergisst. Dabei schüttet er nicht das Kind mit
dem Bade aus oder besser gesagt nicht den Kommunismus mit der Kritik an der KPD
und an der RH. Das Buch ist vielmehr auf eine angenehme Art parteiisch und
gleichzeitig so akribisch recherchiert, das es auch wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt. Des Weiteren ist es gut lesbar und teilweise spannend
geschrieben. Das Buch ist ungewöhnlich großformatig mit vielen Bildern und
Faksimiles. So macht nicht nur das Lesen, sondern auch schon das Durchblättern
Spaß. Man kann auch ruhig einmal den Versuch machen, das Buch irgendwo mitten
drin aufzuschlagen und einfach anfangen zu lesen, man wird sich festlesen.
Brauns und der Verlag haben bewiesen, dass Bücher zur Geschichte der
Arbeiterbewegung nicht trocken sein müssen. Das Buch sollte in dem Regal von
niemandem fehlen, der sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung interessiert.
An
dem von Hering/Schilde herausgegebenen Band sind neun Autorinnen und Autoren
beteiligt, darunter auch Nikolaus Brauns mit zwei Beiträgen. Die Fragestellung
ist hier, inwiefern die Rote Hilfe eine »Wohlfahrtsorganisation« war. Diese
Frage wird letztlich nicht überzeugend beantwortet, was auch daran liegt, dass
in dem Beitrag von Sabine Hering »Die Kinderheime der Roten Hilfe — Ein
Fallbeispiel konfessioneller Erziehung?« ausgerechnet die christlichen
Wohlfahrtsverbände zum Vergleich herangezogen werden, obwohl ein Vergleich mit
der sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt sicher naheliegender gewesen wäre.
Interessant
ist vor allem der Beitrag von Hering über den kommunistischen Pädagogen Edwin
Hörnle, der sonst in der Forschung über die KPD eher übersehen wird. Auch die
biografischen Abrisse über einige Führungspersönlichkeiten der RH sind sehr
aufschlussreich. So erfahren wir, dass Jelena Stassowa, die langjährige
Vorsitzende in der Anfangszeit der RH, noch 1946 den Mut hatte, sich in der
Sowjetunion positiv über den von Stalin verfemten Bucharin zu äußern. Alles in
allem ist das Buch von Hering/Schilde eine interessante Ergänzung zu der
Gesamtdarstellung von Brauns, für sich genommen bietet es eher eine verkürzte
Sicht auf die RH.
Andreas Bodden