Aus: junge Welt vom 21.02.2020, Seite 10 / Feuilleton

Unter Druck

Eine Graphic Novel der Berliner Künstlerin Büke Schwarz über Identität, Kunst und Politik

 

Von Nick Brauns

 

Eine knappe Mehrheit von 51,4 Prozent stimmte im April 2017 in einem Referendum dafür, in der Türkei die parlamentarische Republik zugunsten eines autoritären, auf Staatschef Recep Tayyip Erdogan zugeschnittenen Präsidialsystems abzuschaffen. In Deutschland, wo sich allerdings weniger als die Hälfte der wahlberechtigten Türkeistämmigen an der Abstimmung beteiligt hatte, kam das Ja-Lager gar auf 63 Prozent. Vor diesem Hintergrund spielt die Graphic Novel »Jein« von Büke Schwarz, die das Medium Comic nutzt, um über Themen wie Heimat, Identität, Selbstzensur und politische Verantwortung der Künstler nachzudenken.

Als Ein-zu-eins-Spiegelung ihrer Person will die 1988 geborene Berlinerin mit türkischen Wurzeln ihre Graphic Novel zwar nicht verstanden wissen. Doch gewisse autobiographische Züge sind bei ihrer Protagonistin Elâ Wolf, einer Berliner Malerin mit türkischem Vater und deutscher Mutter, nicht zu übersehen. Dass sie »Halbtürkin« ist – der in der Türkei lebende Vater taucht plötzlich zur Vernissage in Kreuzberg auf und sorgt dort für einen Eklat –, erschien Elâ bislang weder für ihr Leben noch für ihre Kunst besonders relevant. Doch die nationalistisch aufgeladene gesellschaftliche Polarisierung während der Referendumsphase in der Türkei setzt auch Türkeistämmige in Deutschland unter Bekenntniszwang. Sowohl türkische Landsleute als auch die deutsche Öffentlichkeit fordern von diesen, sich zur türkischen Politik zu positionieren. Diese Erfahrungen, die auch Schwarz machte, verarbeitet sie in ihrem in Graustufen gehaltenen Comic.

Liebevoll gezeichnete Details zeigen die Widersprüchlichkeit und Vielschichtigkeit der modernen Türkei und der Türkeistämmigen in Deutschland. So nimmt Elâs’ in der Türkei lebende Großmutter per Skype-Anruf unter Beschwörung des Korans den bösen Blick von ihrer Enkelin. Dazu wacht an der Wohnzimmerwand im Hintergrund Atatürk, der doch für sich in Anspruch nahm, die Türkei von solch mittelalterlichem Obskurantismus befreit zu haben. Der Budenzauber wird abrupt beendet, als die Lieblingsserie der Oma beginnt – in Erdogans Reich sind Seifenopern das neue Opium für das Volk.

Gehört es zur Verantwortung der Künstler, die Türkei zu boykottieren, um dem Regime nicht als Feigenblatt zu dienen? Oder sollten ausländische Künstler vielmehr die Chance nutzen, um mit ihren Mitteln auch in der Türkei Kritik am System Erdogan zu äußern? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des letzten Kapitels von »Jein«. Am Ende lässt Schwarz ihre Protagonistin in ein Flugzeug steigen. Ob der Flug nach Istanbul geht, um dort auf der Biennale das Richtige im Falschen zu wagen, oder doch nach New York zur Ausstellung in einer renommierten Galerie, das bleibt der Phantasie der Leser überlassen.

»Eine Kultur des Scheiterns ist bei uns nicht wirklich verbreitet. Trotzdem werden immer eindeutige Positionen zu fast allem gefordert. Jein verweigert sich dieser Ansicht. Mehr Mut, Jein zu sagen«, wünscht sich Büke Schwarz in einem Interview auf comic.de. Die Künstlerin hat sich mit ihrem Debüt allerdings selbst klar positioniert: gegen Willkürherrschaft und Repression in Erdogans Türkei – aber ebenso gegen jeden äußeren Bekenntniszwang.

Büke Schwarz: Jein. Graphic Novel. Jaja-Verlag, Berlin 2020, 232 Seiten, 24 Euro