Aus: junge
Welt 17.04.2018, Seite 10 /
Feuilleton
Hammer und Pflug
Eine Berliner Ausstellung zu den Anfängen der Roten
Armee
Von Nick Brauns
Weiße Truppen konterrevolutionärer
Generale und Kosaken und ausländische Interventionen zwangen die Bolschewiki
1918, mit der Roten Arbeiter- und Bauernarmee das Instrument zur Verteidigung
einer Revolution zu schaffen, deren zentrales Versprechen an die Massen der
sofortige Frieden gewesen war. Das »Spannungsfeld aus revolutionärem Idealismus
und für die Verteidigung der Revolution überlebenswichtigem Pragmatismus« will
die am 11. April eröffnete Ausstellung »Geboren in der Revolution« über das
erste Jahrzehnt der Roten Armee im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst aufzeigen. An dem historischen Ort, der zu
DDR-Zeiten den treffenderen Namen »Museum der bedingungslosen Kapitulation des
faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945« trug,
feierte die Rote Armee am 8. Mai 1945 den größten Triumph ihrer Geschichte.
Die Sonderausstellung wurde mit Unterstützung des
Zentralen Museums der Streitkräfte der Russischen Föderation in Moskau und des
Staatlichen Museums für die Politische Geschichte Russlands in St. Petersburg
erstellt. Sie spiegelt mit ihrer Würdigung der Roten Armee, »die dem
Sowjetstaat bis zu seinem Ende loyal zur Seite stand«, die heutige
staatsoffizielle Sichtweise wider.
Eine Budjonowka –
Uniformmütze der Rotarmisten – ist das einzige Ausstellungsstück inmitten von
Bild-Text-Tafeln. Die bieten allerdings Schmankerl aus den Archiven, wie
Trotzkis Befehl vom 29. Juli 1918 zur Einführung des roten Sterns als Symbol
der Truppe. Anfangs zierten diesen Stern nicht Hammer und Sichel, sondern
Hammer und Pflug, wie das Plakat zur Ausstellung verdeutlicht.
Erinnert wird an 200.000 ehemalige Kriegsgefangene aus
aller Welt, die als Freiwillige in Reihen der Roten Armee kämpften. Die
deutschen Internationalisten kehrten nach der Novemberrevolution 1919 in ihre
Heimat zurück. Frauen, die sich freiwillig meldeten, kamen als
Sanitätssoldatinnen, in der Verwaltung oder der politischen Bildung zum
Einsatz. Da die meisten Soldaten Bauern ohne Schulbildung waren, wurden im
September 1919 sechswöchige Alphabetisierungskurse eingeführt. So wurde die
Armee zur »Schule der Nation«.
In der Sowjetunion wurde der 23. Februar als
Gründungstag der Armee begangen. An diesem Tag des Jahres 1918 sollte sie nach
einem dramatischen Appell von Lenin – »das sozialistische Vaterland ist in
Gefahr« – ihre erste Schlacht gegen die deutschen Truppen geschlagen haben. »Es
gab keine Schlacht und tatsächlich waren dem Aufruf nur wenige Freiwillige
gefolgt«, stellt die Ausstellung richtig. Das Datum gehe vielmehr auf einen
Solidaritätstag für die Armee zurück, der unter dem Motto »Das Rote Geschenk«
am 23.2.1919 durchgeführt wurde, einem arbeitsfreien Sonntag.
Während die Ausstellung so mit einer Legende aufräumt,
behauptet sie an anderer Stelle: »Von Lenin gezwungen, unterschrieb Trotzki am
3. März 1918 den Vertrag von Brest-Litowsk«. Der Diktatfrieden mit Deutschland
und Österreich-Ungarn wurde von Trotzkis Nachfolger als russischem
Verhandlungsleiter, G. J. Sokolnikow, unterzeichnet,
und das Zentralkomitee der Bolschewiki hatte für einen entsprechenden Antrag
Lenins gestimmt, um angesichts der akuten Bedrohung Zeit für den Aufbau der
Roten Armee zu gewinnen.
Über Trotzki heißt es weiter recht nebulös: »Häufig
wird zitiert, dass er Kommandeure wegen ›Fehlentscheidungen‹ erschießen und
Proteste aus der Bevölkerung blutig niederschlagen ließ«. Die heutige russische
Geschichtsdarstellung stellt Trotzkis zentrale Rolle als Volkskommissar für
Kriegswesen beim Aufbau der Roten Armee nicht in Abrede, macht ihn aber nicht
ungern für Exzesse der Revolutionszeit verantwortlich.
»Abschied von den revolutionären Ideen« ist die letzte
Stelltafel überschrieben. Trotzki habe nach dem Sieg im Bürgerkrieg zurück zu
den Anfängen einer Freiwilligenarmee gewollt, heißt es da, mit Wahl der
Kommandeure durch die Rotarmisten. Diese Mitbestimmung war in der Roten Garde,
der aus Arbeitermilizen gebildeten Vorläuferin der Roten Armee, praktiziert
worden. Trotzki hatte sie 1918 abgeschafft und wollte zu keinem Zeitpunkt
zurück zur Freiwilligenarmee mit gewählten Kommandeuren – dies war während des
Bürgerkrieges vielmehr die Forderung einer Militäropposition, der auch Stalin
als Politkommissar angehörte. So wird in der Ausstellung eine Scheindifferenz
zwischen Trotzki als »geistigem Vater der Roten Armee« und seinem Nachfolger
Michail Frunse aufgebaut, der in der Sowjetunion als
eigentlicher Gründungsvater der Roten Armee galt. Stalin ist in der Ausstellung
übrigens nur ein einziges Mal erwähnt – als Auftraggeber der Ermordung Trotzkis
1940 in Mexiko.
»Geboren
in der Revolution. Das erste Jahrzehnt der Roten Armee«, Di.–So., 10–18 Uhr,
Deutsch-Russisches Museum, Zwieseler Straße 4, Berlin-Karlshorst,
bis 1. Juli 2018