Eine opulente
Zeitreise
Die Rote Hilfe Deutschlands
Jukka
Tarkka
Rote Hilfe Deutschlands � bei der Nennung dieses Namens reagieren selbst
Historiker mit Schwerpunkt Weimarer Republik hilflos. Heute ist diese
Organisation in Vergessenheit geraten, deren Mitgliederzahl in die
Hunderttausende ging und zu deren Führungspersönlichkeiten oder Unterstützern
so unterschiedliche Menschen wie Wilhelm Pieck, Clara Zetkin, Herbert Wehner,
Erich Mühsam, Kurt Tucholsky, Albert Einstein oder Thomas Mann gehörten. Dabei
sind zentrale Themen der Roten Hilfe wie Kampf gegen ein politisches
Strafrecht, das gezielt gegen die Linke eingesetzt wird, für ein Asylrecht, das
diesen Namen auch verdient, gegen Polizeiwillkür und Beschneidung der
bürgerlichen Grundrechte, für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe,
(leider) auch heute noch aktuell.
Eine wissenschaftliche Darstellung der Geschichte der Roten Hilfe in
Deutschland von ihren Vorläufern in den Jahren 1919 bis 1923 über den Aufbau
der zentralisierten Mitgliederorganisation ab 1924 bis zur Umwandlung der �
illegalen � Roten Hilfe in die Deutsche Volkshilfe Ende der 30er Jahre
fehlte bislang sowohl in der bürgerlichen wie marxistischen
Geschichtsschreibung. So handeln Heinrich August Winklers dreibändiges Werk zur
Arbeiterbewegung der Weimarer Republik oder die von Walter Ulbricht stark
beeinflusste achtbändige Geschichte des deutschen Arbeiterbewegung die Rote
Hilfe in wenigen Zeilen ab. In Untersuchungen zum deutschen Kommunismus, wie
sie in den 90er Jahren von Eric Weitz, Klaus-Michael Mallmann und Klaus Kinner
vorgelegt wurden, bleibt die Rote Hilfe eine Randnotiz.
Die Arbeit von Nikolaus Brauns schließt diese Lücke, und kein an der deutschen
Arbeiterbewegung Interessierter wird sie ignorieren können. Nicht nur die
beeindruckende Materialfülle, erstmalig ausgewertete Quellen aus einem halben
Dutzend deutscher Archive, besticht, sondern auch die zeitlich und sachlich
klar gegliederte Darstellung der verschiedenen Aktivitäten der Roten Hilfe von
der Sozialfürsorge für die Familien politischer Gefangener über die juristische
Unterstützung proletarischer Angeklagter und die rechtswissenschaftliche
Tätigkeit bis hin zu illegalen Fluchthilfeaktivitäten und Widerstand gegen das
NS-Regime.
Die Arbeitsweise der Roten Hilfe wird an den großen Kampagnen deutlich, die
sich um so legendäre Namen wie Erich Mühsam, Max Hoelz, Richard Scheringer,
Sacco und Vanzetti oder um die Abschaffung des Paragraphen 218, die Freilassung
politischer Gefangener in (halb)faschistischen Ländern wie Bulgarien, Polen,
Ungarn und Italien ranken. Aber auch die alltägliche Kleinarbeit, das Sammeln
von Spenden für die Familienhilfe oder Unterschriften für die Vollamnestie, der
Kontakt zu politischen Gefangenen durch Besuche und Briefe, Demonstrationen,
Filmabende und Gedenkveranstaltungen für gefallene Revolutionäre werden
anschaulich dargestellt.
Auch für die Debatte um die Ursachen des scharfen Kurswechsel der KPD in den
20er Jahren liefert Brauns umfangreiches neues Material. Die Reaktion der Roten
Hilfe auf die schändliche Haltung der SPD-Führung zur Vollamnestie für Tausende
proletarische Gefangene, Ereignisse wie der »Berliner Blutmai« von 1929
verdeutlichen, dass es die praktische Erfahrung mit der Rolle der
Sozialdemokratie im Staat war, die zu einer Radikalisierung kommunistischer
Politik führte.
Als einzige Massenorganisation der KPD wurde die Rote Hilfe auch unter dem
Faschismus bis Ende 1938 aufrechterhalten. Die Untersuchung der Aktivitäten der
Roten Hilfe während dieser Zeit bringt neue Erkenntnisse über Möglichkeiten und
Grenzen des antifaschistischen Widerstands in Deutschland. Bei den Bemühungen
der Kommunisten um die Schaffung »antifaschistischer Einheits- und
Volksfronten« in Deutschland und den angrenzenden Ländern spielte die Rote
Hilfe, die auf langjährige Erfahrung in der Bündnispolitik zurückgreifen
konnte, eine bis jetzt unterschätzte Schlüsselrolle als Bindeglied zu
nichtkommunistischen Teilen des Widerstands.
Besonders zu danken sind dem Autor und dem Verlag, dass sie dem Buch rund 300
Abbildungen und Faksimiles beigaben, die auch zu einer opulenten optischen
Zeitreise einladen.
Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn. 348S.,
300Abb., 32 EUR.
(ND 22.11.03)