Rote-Hilfe-Sache ist Frauensache“


Eine kleine Geschichte der Roten Helferinnen


„Den Frauen wird nachgerühmt, daß die Mutterschaft sie besonders empfindsam und mitfühlend für Leiden und Dulden macht. Schaffende Frauen! Beweist eure warmherzige menschliche Mütterlichkeit“, erklärte Vorsitzende der Internationalen Roten Hilfe Clara Zetkin am 18. März 1928 auf einem Kongreß der sowjetischen Roten Hilfe MOPR „Befreiungserlangende Frauen, seid der MOPR dankbar. Sie eröffnet euch ein fruchtbares Tätigkeitsfeld, sie ermöglicht euch den Nachweis daß euer Verstehen weitreichender, euer Herz größer und heißer, euer Wollen und Handeln kraftvoller ist, als es das Wirken in dem engen Familienheim erfordert. ... Mopr-Sache ist Frauensache!“ Tatsächlich waren in keiner anderen proletarischen Massenorganisation der Weimarer Republik so viele Frauen aktiv, wie in der Roten Hilfe Deutschlands. 1926 gehörten ihr 30.000 Frauen an. Bis 1932 wuchs der Anteil von Frauen mit 92.000 auf 26,7 Prozent der Mitgliedschaft an.


Der Hauptgrund für den hohen Frauenanteil war allerdings nicht eine angeborene „Mütterlichkeit“, sondern die männerdominierten Strukturen in der Arbeiterbewegung mit ihren zentralen Orten Fabrik, Straße und Kneipe. Frauen, die neben einer beruflichen Nebentätigkeit noch den Haushalt und die Kinder machen mußten, hatten keine Zeit für nächtelange Parteiversammlungen in verrauchten Kneipen. Die tägliche Routine einer Roten Helferin, das Sammeln von Spenden oder Unterschriften in der Nachbarschaft, ließ sich jedoch nebenbei während des Einkaufes oder beim gemeinsamen Wäschewaschen mit den Nachbarinnen machen.


Häufig war es die eigene Notlage nach der Verhaftung des Ehemannes, die auch vormals unpolitische Frauen im Rahmen der Roten Hilfe aktiv werden ließ. Bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im Frühjahr 1919 hatten viele Arbeiterfamilien ihre männlichen Haupternährer verloren hatten und litten materielle Not. Zur Unterstützung der betroffenen Familien und der gefangenen Räterepublikaner „mit Nahrungsmitteln, Kleidern, Barmitteln, Rauchwaren usw.“ gründeten Arbeiterfrauen wie die Aktivistin der Unabhängigen Sozialdemokratie Rosa Aschenbrenner im Mai 1919 die Münchner Frauenhilfe für politische Gefangene. Betriebsräte verpflichteten ihre Belegschaften zu regelmäßigen Spenden eines Teils des Einkommens an die Frauenhilfe. So spendeten die Arbeiter der Lokomotivenfabrik Maffei ab 1920 monatlich 2000 bis 3000 Mark.


Neben den gefangenen Räterepublikanern unterstützte die Frauenhilfe rund 200 Familien mit 350 Kindern in München und Umgebung. Monatlich wurden hierfür 15.000 Mark benötigt. Da dies auf Dauer durch Spenden alleine nicht zu leisten war, wurde die Frauenhilfe 1921 beim Münchner Gewerkschaftsverein angesiedelt. Die angeschlossenen Gewerkschaften verpflichteten sich, pro Mitglied fünf Pfennig in der Woche an die Frauenhilfe abzuführen. Nun wurde die Frauenhilfe auch von den Behörden als einzige Organisation akzeptiert, die Gefangene unterstützen durfte. Die laufende Arbeit regelten paritätisch drei Vertreterinnen der Arbeiterparteien KPD, SPD und USPD. 1922 zahlte die Frauenhilfe 454.242 Mark an Unterstützungsgeldern aus. Nachdem der Gewerkschaftsbund 1923 die Frauenhilfe aufgelöst hatte, entstanden auch in München Rote-Hilfe-Komitees, deren Leiterin 1924 Rosa Aschenbrenner wurde, die mittlerweile für die KPD im Landtag saß.


Stassowa und Zetkin


Als nach der Niederschlagung des kommunistischen Märzaufstandes 1921 auf Initiative der KPD Rote Hilfe Komitees zur Unterstützung der Opfer der Klassenjustiz gegründet wurden, gehörte die sozialistische Frauenrechtlerin und Mitbegründerin der KPD Clara Zetkin dem Zentralkomitee der Hilfsorganisation an. 1925 wurde Zetkin zur Präsidentin der Internationalen Roten Hilfe mit ihren weltweiten Sektionen ernannt. Während Zetkins Rolle in der Hilfsorganisation sich aufgrund ihres hohen Alters und ihrer zahlreichen weiteren Verantwortlichkeiten in der kommunistischen Bewegung weitgehend auf die Repräsentation beschränkte, spielte Jelena Stassowa eine weitaus wichtigere Rolle für den Aufbau der Roten Hilfe. Illegale Arbeit für die russische Sozialdemokratie ab 1898, Gefängnis und die Teilnahme an der Revolution 1917 gehörten zu den Marksteinen im Leben der 1873 als Tochter einer adeligen Familie in Petersburg geborene Stassowa, die den Parteinamen „Genossin Absolut“ wie eine Auszeichnung trug. Unter dem Decknamen Lydia Wilhelm arbeitete sie ab Frühjahr 1921 im Auftrag der Bolschewiki als Sekretärin des Zentralkomitees der Roten Hilfe in Deutschland. Die Verwaltung der Organisation lag fast ausschließlich in ihren Händen. Getarnt als russischstämmige „Spießerin“, die perfekt deutsch sprach, blieb ihre Identität der Polizei ebenso verborgen, wie jener Gruppe humanistischer Intellektueller die auf ihre Anregung 1924 einen Hilfsverein für notleidende Frauen und Kinder politischer Gefangener gründete. Der Hilfsverein, dem auch Albert Einstein und die Künstlerin Käthe Kollwitz angehörten, wählte die „alte Bolschewikin“ sogar zur Vorsitzenden. Jelena Stassowa wurde nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion 1927 zur stellvertretenden Vorsitzenden der Internationalen Roten Hilfe. Nach dem Tode Clara Zetkins im Jahr 1933 leitete Stassowa die Internationale Rote Hilfe, bis sie 1937 auf Stalins Befehl zurücktreten mußte, weil sie sich zu sehr für die Angehörigen von ausländischen Opern der Säuberungen eingesetzt hatte.


Wandel im Frauenbild


Lange Zeit sah die Rote Hilfe durch ihre Zentrierung auf die männliche Industriearbeiterschaft Frauen lediglich als eine „Hilfsschicht“ an, die der Führung durch das „eigentliche Proletariat“ bedürfe. Tatsächlich hatten viele religiös geprägte Arbeiterfrauen aufgrund mangelnder Bildung und Isolation im häuslichen Bereich ein rückständiges Bewußtsein. Oft schämten sie sich, Frau eines „Sträflings“ zu sein. „Politischer Gefangener zu sein, ist keine Schande, sondern eine proletarische Ehre“, erklärte demgegenüber Erna Halbe, die zu den wenigen Frauen in der Leitung der Roten Hilfe Deutschlands gehörte. Frauen dienten der Roten Hilfe anfangs vor allem als Lückenfüllerinnen, wenn nicht genug männliche Funktionäre zur Verfügung standen. So bemerkte die Berliner Polizei 1926 „daß die Rote Hilfe in vielen Bezirken die ihr obliegende Arbeit nur durch Frauen ausüben kann“.


Unter dem Eindruck der Verschärfung politischer Auseinandersetzungen in Deutschland während Weltwirtschaftskrise vollzog sich in der Roten Hilfe eine Wandlung des Frauenbildes. Galten Frauen bisher als indirekte Opfer des Klassenkampfes, die unter der Haft ihres Ehemannes zu leiden hatten, sowie als sozial veranlagte Helferinnen in praktischen Fragen, wurden sie jetzt zu vollwertigen Genossinnen. „In Deutschland sind in letzter Zeit besonders viele Mädchen und Frauen Opfer der Gummiknüppelaktionen oder auch der Klassenjustiz geworden“, schrieb 1930 die Textilarbeiterin Erna Knoth, die selber bei einem Streik inhaftiert worden war. „Wir können Tausende von Fällen aufzeichnen, wo Frauen in den Gefängnissen gesessen haben oder auch heute noch sitzen. Und warum? Entweder wegen der Schandparagraphen 218 und 219 oder auch, weil sie für ihre Forderungen auf der Straße demonstriert haben.“ Eine Frauenkommission beim Zentralvorstand leitete Anfang der 30er Jahre den Aufbau von Frauenaktivs der Roten Hilfe. Neben der Beteiligung an den allgemeinen Aktivitäten der Roten Hilfe stellten die Frauenaktivs Forderungen wie die Amnestierung der Opfer des Abtreibungsverbotsparagraphen 218 in den Vordergrund und hielten eigenständige Frauenversammlungen ab, auf denen bevorzugt Frauen politischer Gefangener sprachen. Wo Frauen an der Basis gezielt gefördert wurden, gehörten sie zu den aktivsten Mitgliedern und übernahmen örtliche Führungsfunktionen.


Eine wichtige Rolle spielte Frauen im antifaschistischen Widerstand. Da viele Ehefrauen von Kommunisten vor 1933 höchstens im Hintergrund politisch gewirkt hatten, waren sie der Gestapo nicht als Aktivistinnen bekannt. So konnten sie für ihre verhafteten Männer einspringen und deren Widerstandstätigkeit fortsetzen. Die Leiterin der Essener Roten Hilfe Herta Geffke organisierte Besuchsfahrten zu Konzentrationslagern. „Auf Lastwagen fuhren die Frauen zu ihren Männern, nahmen Lebensmittel mit, die gesammelt waren, erzwangen dort gemeinsame Besuche, wo sie die Genossen gut informieren konnten und auch Informationen aus diesen KZ`s mitbrachten. Zu den kleineren Gefängnissen, wo nur wenige untergebracht waren, fuhren sie per `Anhalter´, und ich erinnere mich, daß sie dort oft gute Gespräche mit den Kraftfahrern führten.“

Frauen im Widerstand nutzten häufig frauenspezifische Treffpunkte, Verkehrs- und Verhaltensmuster, die das männerfixierte Kommunistenbild der Gegenseite geschickt unterliefen. Während Ansammlungen von Männern sofort verdächtig erschienen, konnten sich Frauen relativ ungefährdet als „Hausfrauenkränzchen“ in einem Ausflugslokal oder auf dem Friedhof treffen. In Berlin-Moabit hatte sich ein Kreis von Frauen um die Rote-Hilfe-Aktivistinnen Ottilie Pohl, Rosa Lindemann und Martha Krüger gebildet. Die Frauen organisierten Kaffeenachmittage mit musikalischer Begleitung für Gäste, wobei die gesammelten Gelder an die Rote Hilfe abgeführt wurden oder sie hielten ihre Versammlungen in Gartenlauben ab. Über 30 Familien wurden von dem Moabiter Kreis betreut. Neben Spendensammlungen und der Unterbringung untergetauchter Genossen halfen die Frauen auch Männern, deren Ehefrauen inhaftiert waren, im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. 1940 wurde Ottilie Pohl wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ verhaftet und zu einer Haftstrafe von acht Monaten verurteilt. Nach ihrer Freilassung Ende 1941 setzte sie die Widerstandstätigkeit fort, bis sie als Jüdin 76-jährig im November 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet wurde.


Nick Brauns


Zum weiterlesen:

Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2003, geb. 348 Seiten, rund 300 Abbildungen und Faksimiles, Großformat; 32 Euro


aus: Die Rote Hilfe 1.2005