Zurück zu
Stalin?
Zur
Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR
Von Nick
Brauns
Die Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR
hatte sich eine Konferenz der in Hannover erscheinenden
marxistisch-leninistischen Zeitschrift Offensiv im November letzten Jahres auf
die Fahnen geschrieben. Unter dem Veranstaltungstitel "Auferstanden aus
Ruinen" liegt jetzt eine Dokumentation der Referate und
Diskussionsbeiträge vor. An der Diskussionsveranstaltung am 20. Und 21.
November 1999 in Berlin nahmen damals unter anderem Karl-Eduard von Schnitzler
und Heinz Kessler teil.
Um es gleich vorweg zu nehmen, der Eindruck, den
diese Texte hinterlassen, ist zwiespältig und wird sicherlich noch manche
Diskussion auslösen. Uneingeschränkt positiv ist erst einmal die Absicht der
Veranstalter zu werten. In einer Zeit, in der die Nachfolgerin der SED mit den
Thesen zu einem neuen Parteiprogramm DDR und damit auch die Herkunft der PDS
weiter delegitimieren will, während gleichzeitig Egon Krenz und andere
ostdeutsche Politiker von der Siegerjustiz eingesperrt wird, ist es mehr als
notwendig, deutlich zu machen: Die DDR war "die höchste Errungenschaft der
deutschen Arbeiterklasse oder "Das gute Deutschland"". (so Rolf
Vellay in seinem Beitrag).
Als revolutionäres Erbe der DDR zählten die
Konferenzredner unter anderem: die politische und ökonomische Entmachtung des
Imperialismus, die Überwindung der Reste des Feudalismus, die Demokratisierung
der Verwaltung und die Entfaltung einer demokratischen, antifaschistischen
Kultur, einer neuen politischen Sicherheit.
Tatsache ist jedoch, daß diese Elemente
offensichtlich nicht genügten, um die DDR weiter am Leben zu halten. Und bei
der Frage, was zum Untergang der DDR führte,
setzten die Differenzen an. Vor allem "Verrat",
"Revisionismus" und "imperialistische Diversion" werden
hier genannt.
"Revisionistische Entwicklungen waren und sind
immer Einfallstore für imperialistische Diversionsstrategien", so der
Geheimdienstspezialist Michael Opperskalski. In seinem Beitrag arbeitet er die
verschiedenen Elemente imperialistischer Zersetzungsarbeit, von offener
Sabotage bis zur Stiftung ideologischer Verwirrung heraus. Am Beispiel von
Wolfgang Harichs Kontakten zum SPD-Ostbüro macht er deutlich: "Es gab
immer wieder revisionistische Positionen, die subjektiv ehrlich, vorgaben, die
Entwicklung des Sozialismus vorantreiben zu wollen, objektiv jedoch den
Strategen in die Hände arbeiteten."
Für den ostdeutschen Faschismus- und
Revisionismusforscher Kurt Gossweiler steht folgerichtig die Frage der Entwicklung
des Revisionismus unter Chrustschow im Vordergrund. Nun ist es eine
Allgemeinwahrheit, daß rechter Opportunismus ebenso, wie linkes Sektierertum
ihre soziale Grundlage in der Vielschichtigkeit der Arbeiterklasse und der
sozialistischen Gesellschaft haben. Wer aber, wie Gossweiler und die Mehrzahl
der anderen Referenten den Revisionismus in idealistischer Weise erst mit dem
XX. Parteitag der KPdSU ansetzt, ignoriert die Erkenntnis, daß bei
Arbeiterparteien die programmatisch-ideologische Revision im Allgemeinen der
gesellschaftlichen Praxis folgt und nicht umgekehrt. Godesberg kam lange nach
dem Verrat der SPD 1914 und 1918 und dem Versagen 1933. Chrustschows
theoretische Revision des Marxismus-Leninismus fußt auf der praktischen
Revision unter (gar nicht so sehr wegen) Stalin in Folge der Bürokratisierung
der Sowjetmacht. Wenn Rolf Vellay nun gar als Beweis für die Rolle Stalins
"als Leitfigur der revolutionären Weltbewegung" anführt, daß das
imperialistische Frankreich zu dessen Tod drei Tage Staatstrauer anordnete,
spricht dies nicht für sondern gegen den Georgier!
Die nützlichsten Beitrage des Buches sind
diejenigen, die konkrete Fakten zur Entwicklung in der DDR zu bieten haben. Der
Beitrag des ostdeutschen Journalisten und Wirtschaftswissenschaflters Walter
Florath zum Zusammenhang von Arbeitsproduktivität und Sozialismusvorstellungen
bietet wesentlich bessere Erklärungsansätze für den Zusammenbruch der DDR, wie
die Beiträge, die sich nur mit der Theorierevision beschäftigen. Anhand der
tatsächlichen Wirtschaftsdaten der DDR zeigt Florath den "entscheidenden
nichtantagonistischen Widerspruch zwischen Akkumulation und Konsumption als
Haupttriebkraft der ökonomischen Entwicklung" im Sozialismus. Mit der
Abkehr vom Ulbrichtschen Neuen Ökonomischen System NÖS und der von Honecker auf
dem VII.Parteitag der SED verkündeten "Einheit von Wirtschafts- und
Sozialpolitik" folgte in den 70er Jahren eine Steigerung der
Konsumgüterproduktion, die in den 80er Jahren dazu führte, daß sich das System
selbst auffraß. Das Konsumgüterangebot sank, während gleichzeitig die
Modernisierung der Produktionsgüterherstellung aus blieb. "Die Menschen
sahen keine Perspektive für die DDR mehr. Das Zentralkomitee der SED gab keine
offene, klare Darstellung über die Probleme, wie das Ulbricht seiner Zeit getan
hatte. ... Allein aus dieser Darstellung wirtschaftlicher Probleme dürfte
verständlich werden, weshalb die Bürger der DDR widerstandslos kapitulierten
und 1990 die D-Mark wählten", so Floraths Schlußerkenntnis. Dieser Ansatz
sollte weitergedacht werden. Denn nur wenn wir die "Wahrheit in den
Tatsachen suchen", uns vor einfachen Verschwörungstheorien hüten und die
Fehler und sogar Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden,
offen benennen, können wir glaubwürdig das revolutionäre Erbe der DDR
verteidigen.
Offensiv (Hg.): Auferstanden aus Ruinen - Über das
revolutionäre Erbe der DDR
Hannover 2000, 208 S. , DM 24,80
Zu Bestellen über Redaktion Offensiv, Tel./Fax:
0511/5294782