Nikolaus
Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten
der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland
(1919–1938). Pahl-Rugenstein, Bonn 2003, 345 S.
Die
Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands – „die wichtigste und erfolgreichste
Organisation im Vorfeld der KPD“ (S. 309) – ist nicht länger ein
Forschungsdesiderat. Die Studie von Nikolaus Brauns beruht auf einer
2002 an der Universität München eingereichten Dissertation. Sie schließt eine
Lücke in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Die sich seit 1919 bald
zur Massenorganisation entwickelnde Vereinigung zur Unterstützung politischer
Gefangener war bis 1938 Bestandteil der kommunistischen Weltbewegung. Heute
existiert anknüpfend an die Tradition der historischen Roten Hilfe eine
Bündnisorganisation gleichen Namens, die sich gegen Repression einsetzt und
Rechtshilfe und -beratung leistet.
Brauns
Darstellung ist im Spannungsfeld zwischen Organisations- und Sozialgeschichte
der Arbeiterbewegung und Kommunismusgeschichte, der sozialen, politischen,
ökonomischen und justiziellen Entwicklungen in der Weimarer Republik und im
nationalsozialistischen Deutschland sowie der internationalen Politik in der
Zwischenkriegszeit angesiedelt. Die quellengesättigte Studie basiert wesentlich
auf den im Bundesarchiv in Berlin aufbewahrten Beständen der Roten Hilfe
Deutschlands und der Kommunistischen Partei Deutschlands, von Reichsbehörden
sowie auf Erinnerungen und Nachlässen von Mitgliedern und Vorsitzenden der
Roten Hilfe (z. B. Wilhelm Pieck und Clara Zetkin). Herangezogen wurden
weiterhin Überlieferungen regionaler Archive, Publikationen der Roten Hilfe und
des Zusammenschlusses Internationale Rote Hilfe sowie zeitgenössische
Zeitungsartikel. Aus dem Fundus der gesammelten Quellen hat Brauns rund 300
Abbildungen ausgewählt und wiedergegeben, die eine wahre Fundgrube sind. Die in
Moskauer Archiven lagernden Dokumente hat der Autor nicht herangezogen, was
nicht als Manko erkennbar ist.
Die
Vorläufer der Roten Hilfe Deutschlands sind die 1919 in München entstandene
„Frauenhilfe für politische Gefangene“, eine 1920 von der KPD eingerichtete
„Ausgleichsstelle für die Unterstützung politischer Gefangener“ und die 1921
formierten Rote-Hilfe-Komitees der KPD. Nachdem aus diesen Organisationen
zunächst ein Zentralkomitee der Roten Hilfe gebildet wurde, entstand 1923
schließlich die Rote Hilfe Deutschlands als selbstständige und formal von der
KPD unabhängige Mitgliederorganisation. Sie diente einem doppelten Ziel: der
konkreten Hilfe für die Opfer der politischen Auseinandersetzungen und der
Mitglieder-Rekrutierung für die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft.
Wesentliches Arbeitsgebiet war neben der Rechtsberatung und -betreuung die
soziale Fürsorge für politische Gefangene. Damit die Gefangenen „kampfbewusst“
und „kampfbereit“ blieben, kümmerte sich die Rote Hilfe durch materielle und
finanzielle Unterstützung um die Familien und insbesondere um die Kinder. Für
diese baute sie sogar zwei Kinderheime auf. Diese Tätigkeiten wurden überwiegend
von Frauen ausgeübt. Die Organisation setzte sich für die Amnestierung
politischer Gefangener ein und vermittelte darüber hinaus Fluchthilfe in die
Sowjetunion.
Neben
der Berücksichtigung der politischen Dimension der Arbeit der Roten Hilfe geht
Brauns ausführlich auf die alltägliche Kleinarbeit ein: das Sammeln von Spenden
und Unterschriften, den Kontakt zu den Gefangenen durch Besuche und Briefe,
Demonstrationen sowie Filmabende und Gedenkveranstaltungen für „gefallene
Revolutionäre“. Genaue Mitgliederzahlen zu nennen ist kaum möglich: Die
radikalen Schwankungen des politischen Kurses der KPD hatten in der Partei wie
in der Roten Hilfe erhebliche Mitgliederfluktuationen zur Folge. Die für 1924
genannte Zahl von 200 000 ist ebenso vorsichtig zu betrachten wie eine 1932
zitierte Größenordnung von 651 000 „Kollektivmitgliedern“ (S. 44).
Während
die führenden und politisch einflussreichen Kader durchweg zur
KPD-Führungsspitze gehörten, war die beanspruchte Überparteilichkeit zumindest
in der Mitgliedschaft nachweisbar: Zwar waren sozialdemokratische und
sozialistische Parteiangehörige als Mitglieder der Roten Hilfe nur marginal
vertreten, aber „die Organisation [sprach]mit ihrem Hilfsanspruch
offensichtlich ein breiteres linksproletarisches Milieu an“ (S. 47).
Die
Aktivitäten der Roten Hilfe Deutschlands konnten nicht unbeeinflusst von den
durch die KPdSU bestimmten Kurswechseln der Kommunistischen Internationale
bleiben. Das nationalsozialistische Deutschland trieb die Kommunistische Partei
und ihre „Massenorganisationen“ und auch die Rote Hilfe in den Untergrund. Es
kam aus ihren Kreisen vereinzelt zu Akten des Widerstandes gegen das NS-Regime.
Nach der 1938 im Exil erfolgten Umbenennung in „Deutsche Volkshilfe“ konnte die
„diffuse Hilfsbewegung“ (S. 305) nur noch vereinzelt in Komitees
weiterexistieren. Die Internationale Rote Hilfe wurde 1941/42 „sang- und
klanglos“ (S. 309) aufgelöst. Viele Kader der Roten Hilfe Deutschlands werden
Opfer der Stalinschen „Säuberungen".
Das
voluminöse und gut geschriebene Werk macht ein wichtiges Kapitel in der
Geschichte des Kommunismus in Deutschland im 20. Jahrhundert bekannt. Viele
biografische Informationen und faksimiliert wiedergegebene Dokumente
erleichtern das Verständnis des als Standardwerk zur Geschichte der Roten Hilfe
Deutschlands anzusehenden Buches.
Kurt Schilde
aus:
ZfG - Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1/2007