Gedenkrede von Nick Brauns zum 132. Geburtstag von Ernst Thälmann auf der Kundgebung am 21.April 2018 vor dem Thälmann-Denkmal in Berlin

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

wir haben uns hier versammelt anlässlich des 132. Geburtstages des Revolutionärs und Antifaschisten Ernst Thälmann. Dieser sagte einmal: „Gedenktage sind ohne Sinn, wenn sie nicht in Gegenwart und Zukunft hineinreichen.“ Wenn wir also Thälmann ehren, dann nicht aus Nostalgie oder bloßer Tradition, sondern um von ihm zu lernen und seinen Kampf für den Kommunismus fortzusetzen.

Ich wurde als Historiker und Vertreter des Kurdistan-Solidaritätskomitees Berlin für diese Gedenkveranstaltung eingeladen – und ich versuche, beiden Funktionen in meiner Rede gerecht zu werden.

Mehr als elf Jahre war Ernst Thälmann politischer Gefangener des Hitler-Faschismus. Auch hinter Kerkermauern blieb er eine Gefahr für die Nazis. Mit seiner Ermordung am 18. August 1944 im KZ Buchenwald wollte sich das Naziregime einer Persönlichkeit entledigen, die angesichts der absehbaren Kriegsniederlage eine führende Rolle beim Aufbau eines demokratischen Nachkriegsdeutschland gespielt hätte.

Ein politischer Gefangener ist auch Abdullah Öcalan. Seit 1999 befindet sich der Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft. Doch ebenso wenig, wie die Hitler-Faschisten Thälmann brechen konnten, kann das AKP-Regime Abdullah Öcalan brechen.

So, wie Thälmann hinter Kerkergittern für Millionen ein Symbol des Widerstandsgeistes war, so bleibt heute Abdullah Öcalan ein Hoffnungsträger im Mittleren Osten.

So wie deutsche Antifaschisten im Spanischen Bürgerkrieg in Thälmann-Bataillon gegen den Franco-Faschismus kämpften, so kämpfen heute kommunistische und anarchistische Freiwillige in den Reihen der YPG unter dem Banner Öcalans in Syrien gegen den Islamischen Staat und die türkische Armee.

Karl Marx schrieb: „Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift“. Und Öcalans Ideen werden zur materiellen Gewalt – in Form der Guerilla in den Bergen Kurdistans und der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten in den Ebenen Rojavas. Dort in Nordsyrien dienen Öcalans Ideen heute als Leitfaden beim Aufbau einer rätedemokratischen und multiethnischen Selbstverwaltung.

Ein Jahrhundert lang wurden die Völker und Glaubensgemeinschaften des Mittleren Ostens von den Groß- und Regionalmächten entlang der künstlich gezogenen Sykes-Picot Grenzen gegeneinander ausgespielt. Mit dieser Teile-und-Herrsche-Politik will Öcalan Schluss machen. Die Völker Syriens, die Araber, Kurden, Assyrer und Turkmenen sollen ihr Schicksal endlich gleichberechtigt und demokratisch in die eigenen Hände nehmen können –  ohne Fremdbestimmung und Einmischung ausländischer Mächte.

Mit dieser Haltung zieht sich die Rojava-Revolution die Feindschaft all der Mächte zu, die den Status Quo in der Region verteidigen wollen – in erster Linie der Türkei.

Im Januar begann der Angriff der türkischen NATO-Armee und ihrer Al Qaida-Söldner auf den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrin. Zwei Monate lang hielten die Volksverteidigungseinheiten dem Ansturm der zweitgrößten NATO-Armee stand. Doch gegen die massiven Luftangriffe auf Wohngebiete waren die Verteidiger Afrins machtlos. Während hunderttausende Einwohner Afrins heute in Flüchtlingslagern ausharren, werden Dschihadisten aus Gauta und syrische Flüchtlinge aus der Türkei in ihren Dörfern angesiedelt.

Die Türkei verfolgt ihre Kriegspolitik gegen Nordsyrien und inzwischen auch im Nordirak mit direkter Unterstützung der deutschen Bundesregierung Es sind deutsche Waffen, deutsche Kredite und die politische Zurückhaltung der Bundesregierung, die diese Kriege der Türkei erst möglich machen. Heute fahren deutsche Leopard2-Panzer von Rheinmetall und Mercedes-Unimogs der türkischen Armee durch Afrin. Türkische Soldaten und ihre Al Qaida-Söldner tragen deutsche G3-Gewehre von Heckler&Koch.

Gleichzeitig werden in Deutschland Friedensdemonstrationen kurdischer Verbände verboten. In Neuss wurde ein Verlagshaus von der Polizei gestürmt, das die Schriften von Abdullah Öcalan und Sakine Cansiz aber auch Sprachbücher und Kinderbücher in kurdischer Sprache verlegt.

Ein Blick in die Geschichte hilft, die Gegenwart zu verstehen. Denn die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft, die selbst durch die vorübergehende Geiselnahme deutscher Staatsbürger wie Deniz Yücel keine Risse bekam, hat tiefe rund 150-jährige Wurzeln. Es ist eine Allianz der herrschenden Klassen beider Länder – zu Lasten der Demokratie und Freiheit der Völker der Türkei und des Friedens im Mittleren Osten. Aber auch immer wieder zu Lasten demokratischer Rechte insbesondere der türkeistämmigen Migranten in Deutschland.

In den 1880er Jahren schlossen die Herrscher des aufstrebenden deutschen Kaiserreichs und des niedergehenden Osmanischen Reiches ihr verhängnisvolles Bündnis. Preußisch-deutsche Offiziere modernisierten die türkische Armee, die deutschen Kanonenschmieden Krupp und Co. hatten bald ein Monopol beim Türkeigeschäft erlangte. „Das wichtigste Operationsfeld des deutschen Imperialismus wurde die Türkei, sein Schrittmacher hier die Deutsche Bank und ihre Riesengeschäfte in Asien, die im Mittelpunkt der deutschen Orientpolitik stehen“, erkannte Rosa Luxemburg.

Und Paul Rohrbach, ein führender Propagandist des deutschen Imperialismus, formulierte 1902 in seinem Buch „Die Bagdad-Bahn – Vom deutschen Weg zur Weltgeltung“ den bis heute gültigen kategorischen Imperativ deutscher Türkeipolitik. „Einzig und allein eine politisch und militärisch starke Türkei ermöglicht es uns, dafür zu sorgen, dass die großen Aussichten, welche sich in den Ländern am Euphrat und Tigris für die Vergrößerung unseres Nationalvermögens und die Verbesserung unserer wirtschaftlichen Bilanz bieten, auch wirklich mit einiger Sicherheit in die Sphäre der realen Existenz übergehen können. Für eine schwache Türkei keinen Pfennig, für eine starke, soviel nur irgend gewünscht wird”.

Unter deutschem Oberkommando kämpfte die türkische Armee im ersten Weltkrieg an der Seite des deutschen Reiches. Deutsche Diplomaten wurden zu Mitwissern und deutsche Militärs zu Mittätern des jungtürkischen Genozids an über einer Million Armeniern in den Kriegsjahren 1915-16. „Unser einziges Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“, erklärte der Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg damals.

Mit wohlwollender Neutralität und kriegswichtigen Rohstofflieferungen hielt die kemalistische Türkei dem faschistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg den Rücken frei für den Angriff auf die Sowjetunion.

Nach dem zweiten Weltkrieg lebte die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft unter dem Dach der NATO wieder auf. Schon kurz nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 unterzeichnete die damalige sozialliberale Bundesregierung einen Vertag über Polizeihilfe. Eine Bundestagsdelegation wollte in den überfüllten Gefängnissen der Türkei keine „systematische Folter“ erkennen.

Mitte der 1980er Jahre begann der bewaffnete Kampf der PKK in Kurdistan. Der Bundesrepublik kam im Rahmen eines Aufstandsbekämpfungsplanes der NATO die Aufgabe zu, die kurdische Freiheitsbewegung mit den Mitteln des Staatsschutzrechtes zu kriminalisieren. Nach einem Schauprozess gegen 20 kurdische Politiker in Düsseldorf folgte 1993 in enger Abstimmung mit Ankara das PKK-Verbot. Die Folge sind Tausende Strafverfahren, hunderte Festnahmen, Wohnungsdurchsuchungen, Vereins- und Demonstrationsverbote. Seit bald 25 Jahren werden Zehntausende vor allem kurdische Bürger so in ihren Grundrechten eingeschränkt.

Für die Bundesregierung geht es um wirtschaftliche Interessen in der Türkei – 6000 deutsche Firmen lassen in der Türkei produzieren. Sie profitieren dort auch vom Ausnahmezustand und der Niederhaltung der Gewerkschaften. Es geht um Geopolitik. Die Türkei mit ihren Militärstützpunkten ist für die NATO das Sprungbrett in den Mittleren Osten. Sie ist ein Energie-Knotenpunkt für Öl- und Gaspipelines. Und das Erdogan-Regime bekommt Milliarden Euro von der EU, um als Türsteher die Flüchtlinge von Europa fernzuhalten.

Weiterhin gilt die Maxime des deutschen Imperialismus: alles für eine starke Türkei.

-         Daher werden die Waffenlieferungen ohne Unterbrechung fortgesetzt.

-         Daher weigert sich die Bundesregierung, den Krieg gegen Afrin als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verurteilen

-         Daher bekommen Erdogans Agenten in Deutschland weiter grünes Licht – vom Moscheenverband DITIB, der Kinder den Märtyrertod üben lässt bis zum türkischen Geheimdienst, der Anschläge auf Oppositionelle im Ausland plant.

-         Daher wird das seit 25 Jahren geltende PKK-Verbot weiter verschärft und auf die Fahnen der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten ausgeweitet.

-         Daher stehen in München zehn Kommunisten aus der Türkei als vermeintliche Terroristen vor Gericht, obwohl ihnen keinerlei Gewalttaten vorgeworfen werden können und ihre Partei in Deutschland nicht verboten ist

 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

Zur Vorbereitung meiner heutigen Rede habe ich mir noch einmal angeschaut, was Ernst Thälmann über proletarischen Internationalismus geschrieben und gesagt hat. Wegweisen für Thälmann war eine Maxime Lenins, die lautete: „Es gibt nur einen wirklichen Internationalismus: die hingebungsvolle Arbeit an der Entwicklung der revolutionären Bewegung und des revolutionären Kampfes im eigenen Lande, die Unterstützung (durch Propaganda, durch moralische und materielle Hilfe) eben eines solchen Kampfes, eben einer solchen Linie und nur einer solchen allein in ausnahmslos allen Ländern.“

Nie sah Thälmann eine Frage nur als nationales Problem – egal, ob es um die Demonstration internationaler Solidarität bei Maifeiern ging oder um den Kampf gegen den imperialistischen Krieg oder um die Haltung zur Oktoberrevolution und Sowjetunion. Immer urteilte er vom internationalistischen Standpunkt aus.

Und er fragte: was hat das mit uns in Deutschland zu tun? Was können wir für unseren eigenen Kampf daraus lernen. Entsprechend stand bei der Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen für die Thälmann die Frage im Vordergrund: Welche gemeinsamen Feinde haben die Arbeiter in Deutschland und die unterdrückten Völker? Welche Rolle spielt der deutsche Imperialismus bei der Niederhaltung der gegen Kolonialismus aufbegehrenden Völker? Und davon abgeleitet fragte Thälmann: Was können wir praktisch tun, um den Befreiungskampf in anderen Ländern von hier aus zu unterstützen?

Thälmann beschäftigte sich insbesondere mit dem antikolonialen Befreiungskampf in China. So erklärte er 1925 auf einer Kundgebung in Berlin: „Die Ereignisse in China sind ein Flammenzeichen der Erkenntnis auch für das deutsche Proletariat.“ Thälmann ging es darum, aus den Erfahrungen der chinesischen Kommunisten für die deutsche Revolution zu lernen. Darum studierte er die Strategie und Taktik der Kommunistischen Partei Chinas und verglicht in seinen Aufzeichnungen die Rolle der Bauern in beiden Ländern.

1930 schrieb Thälmann in der Roten Fahne über den Interventionskrieg der imperialistischen Mächte gegen die chinesische Revolution. „Eine wichtige Rolle spielt hier besonders auch der deutsche Imperialismus. Deutschland ist das Zentrum des Waffenhandels nach China, … die deutsche Presse marschiert an der Spitze der Interventionshetzer.“ Thälmann kommt zu der Erkenntnis: „Der Kampf der werktätigen Massen Chinas richtet sich gegen denselben Feind, der auch das deutsche Proletariat knechtet und bis aufs Blut aussaugt. … Die Sache der chinesischen Revolution ist auch unsere Sache.“

„Woher kommen die Mordwaffen? Die Munition?“, fragte Thälmann in einem Artikel vom Februar 1932 bezüglich des japanischen Interventionskrieges gegen China. Und er lieferte die Antwort gleich nach: „Waffen und Munition gehen über Hamburg. … Munitionslieferungen über und aus Deutschland sind verboten. Warum wird gegen die Hamburger kapitalistischen Schmuggler, deren Namen jeder kennt, nicht eingeschritten? Wer regiert Hamburg? In der zweitgrößten Stadt Deutschlands herrscht ein zur Hälfte aus Sozialdemokraten zusammengesetzter Senat.“

Daraus leitete der KPD-Vorsitzende ganz konkrete Aufgaben der internationalen Solidarität ab. Auf einer Tagung des Zentralkomitees der KPD im Februar 1932 appellierte Thälmann an „alle klassenbewussten Arbeiter in den Hafenstädten, an die Seeleute und Hafenarbeiter, an die Eisenbahner, an die Arbeiter der Kriegs- und Munitionsindustrie: Wendet eure Kampfmittel des Streiks und alle übrigen Kampfmethoden zur Verhinderung jeder Unterstützung des imperialistischen Krieges durch Munitions- und Waffentransporte an.“

Heute gehen deutsche Waffenlieferungen nicht nur an die Türkei. Sie befeuern auch den Krieg von Saudi-Arabien gegen den Jemen. In Syrien droht derweil eine weitere Eskalation. Die von der Bundesregierung gutgeheißenen Luftangriffe der NATO waren völkerrechtlich nichts anderes als ein Akt der Lynchjustiz. Die Situation ist brandgefährlich!

Solidarität mit den Völkern Syriens, Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf, Solidarität mit den demokratischen Kräften in der Türkei darf kein abstraktes Lippenbekenntnis bleiben. Die Solidarität muss praktisch werden!

Möglichkeiten dafür bieten sich bereits am 1. Mai. Auf der revolutionären 18-Uhr Demo in Kreuzberg sollen alle Fahnen der kurdischen Freiheitsbewegung gezeigt werden. Und am 8. Mai findet im Berliner Maritim Hotel die Hauptversammlung von Rheinmetall statt. Auch dort sind Proteste angekündigt.

Um es mit Ernst Thälmann zu sagen: „Wir werden unsere proletarische Solidarität gegen den Imperialismus durch den entschlossenen Kampf gegen den Feind im eigenen Land praktisch erhärten!“

Hoch die internationale Solidarität!