Tageszeitung junge Welt

23.02.2006 / Feuilleton / Seite 12


Nicht mit den Wölfen heulen

Eine Replik auf Jürgen Elsässers Lob des türkischen Actionfilms »Das Tal der Wölfe«

Von Nick Brauns

Der türkische Actionfilm »Das Tal der Wölfe« von Serdar Akar hat in der BRD eine bemerkenswerte Rezeption erfahren. Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte ein Verbot des Films, sein Innenminister, Günther Beckstein, appellierte an die Kinobetreiber, das Werk nicht mehr zu zeigen, da es türkisch-nationalistisch, antiwestlich und antisemitisch sei. Der Bundesverband Regie gab zu bedenken: »Das Grundgesetz gewährleistet in Art. 5 ausdrücklich die Presse-, Rundfunk- und eben auch die Filmfreiheit.« Die einzig relevante Frage sei, ob der Film eine Altersbeschränkung erhalten sollte. Aufgabe der Filmemacher müßte es sein, »provozierende Fragen« aufzuwerfen.

In einem Beitrag für unsere Zeitung vertrat Jürgen Elsässer die Ansicht, der Film liefere der Friedensbewegung gute Munition: »Der Aufschrei, der Film sei hetzerisch, kommt zumeist von Leuten, deren Geschäft die Verharmlosung der irakischen Realität ist« (jW, 20.2.) Dem folgt heute eine Entgegnung von Nick Brauns.



Eine Serie von Bombenanschlägen erschütterte letzten Herbst die ostanatolischen Provinzen Hakkari und Sirnak. Schließlich gelang es der Bevölkerung in der Kleinstadt Semdinli, die Bombenleger bei einem Anschlag auf eine Buchhandlung auf frischer Tat zu stellen. In deren Fahrzeug befanden sich neben Todeslisten und Waffen auch Ausweise, die sie als Offiziere des Militärgeheimdienstes auswiesen. Einer der Männer war ein PKK-Überläufer, ein anderer nach Aussagen der Militärführung lange im Nordirak stationiert. Die türkische Konterguerilla ist berüchtigt für unzählige Morde und Folterungen kurdischer und linker Politiker, Gewerkschafter und Intellektueller.

Die Helden von »Tal der Wölfe« sind eben keine irakischen Widerstandskämpfer, sondern Angehörige einer solchen Konterguerillaeinheit. Ihr Motiv ist nicht Antiimperialismus, sondern die Rettung der nationalen Ehre.

Die »mächtige Botschaft« des Films, sei laut Elsässer, daß die Türkei heute ein Hindernis für die US-Politik geworden ist. In bezug auf den Irak mag dies stimmen. Doch durch ihre NATO-Mitgliedschaft ist die Türkei Teil der imperialistischen Kette mit eigenen expansiven Ambitionen – von Nordzypern und dem Nordirak über den Kaukasus bis zu moslemisch besiedelten Gebieten Chinas. Die türkische Armee ist von ihrer Mannschaftsstärke die zweitgrößte NATO-Armee. Fast 600 Jahre nach der Schlacht auf dem Amselfeld sind seit 1999 wieder türkische Soldaten im Kosovo stationiert. Türkische Kontingente befinden sich auch als Besatzungstruppen in Afghanistan.

Bis heute erheben türkische Diplomaten und Militärs Anspruch auf die ehemals osmanische Provinz Mossul mit ihren Ölquellen. Zudem befürchtet Ankara, daß ein autonomer kurdischer Staat im Nordirak den Freiheitsbestrebungen der Kurden in der Türkei Auftrieb geben könnte. Daher hatte auch das zu Beginn des Films von US-Truppen verhaftete Kommando in der Realität den Auftrag, mit Anschlägen zur Destabilisierung der kurdischen Landesteile beizutragen.

Seit Anfang der 90er Jahre sind türkische Kommandos – übrigens damals auf Einladung der zerstrittenen irakisch-kurdischen Parteien KDP und PUK als Vermittler angefordert – mit mehreren tausend Mann im Nordirak aktiv. Der PUK-Vorsitzende Jalal Talabani reiste bis zu seiner Einsetzung als »irakischer Präsident« mit einem türkischen Diplomatenpaß und unterhält bis heute gute Beziehungen nach Ankara. Daß KDP und PUK heute Kollaborateure der US-Besatzer sind, ist keine Frage. Aber wo bitte bekommen die Washingtoner Kriegstreiber Unterstützung durch die PKK oder die Kurdistan-Solidarität in Deutschland, wie Elsässer behauptet? Vielmehr haben die USA der Türkei für die Überlassung von Luftwaffenstützpunkten bei einen Angriff auf den Iran grünes Licht für die Bombardierung iranischer PKK-Lager angeboten. Elsässer schreibt richtig, »die Menschen zwischen Istanbul und Diyarbakir wollen offensichtlich nicht weiter das Kanonenfutter der US-Armee sein«. Doch genau diese Menschen in Diyarbakir sind großenteils Anhänger Abdullah Öcalans und der PKK.

»Tal der Wölfe« ist Teil einer nationalistischen Welle, die seit rund einem Jahr die Türkei durchflutet. Während der auf der Gefängnisinsel Imrali gefangene Abdullah Öcalan seine Anhänger zur Besonnenheit mahnt und die Brüderlichkeit der Völker beschwört, rüsten die rechtsextremen Grauen Wölfe und Konterguerillabanden zum ethnischen Bürgerkrieg. In diesem Klima wurden türkische Übersetzungen von Hitlers »Mein Kampf« und der »Protokolle der Weisen von Zion« zu Bestsellern, während die Bücher Orhan Pamuks auf dem Scheiterhaufen landeten. Mehrfach kam es zu Lynchversuchen an Kommunisten und Kurden durch einen nationalistischen Mob.

»Ein ausgezeichneter Film, der Geschichte machen wird«, lobte der türkische Parlamentspräsident Bülent Arinc nach der Premiere. Und First Lady Emine Erdogan zeigte sich ebenfalls angetan von dem Streifen. Schließlich propagiert »Tal der Wölfe« kohärent die türkisch-islamische Synthese. Wenn in der Anfangsszene die türkische Armeeführung das umzingelte Spezialkommando vom Kampf gegen die US-Soldaten abhält und später US-Verwalter Sam den Türken vorwirft, lieber zu verhandeln als zu kämpfen, wird das kemalistische Establishment als Werkzeug des US-Imperialismus entlarvt. Doch am Ende brauchen auch die islamischen Pazifisten die Hilfe der türkischen Rambos. Hier schließt sich der Kreis der türkisch-islamischen Synthese, die in der türkischen Realität zunehmend den reinen Kemalismus ablöst.

Hauptdarsteller Necati Sasmaz und sein Bruder, Produzent und Drehbuchautor Raci Sasmaz, sind führende Mitglieder der islamischen Kadiri-Sekte, der auch der irakische »Präsident« Talabani angehört. Die Lehre der Sekte verbreitet der Film in der Person des Scheichs Abdurrahman Halis Kerküki. Gleichzeitig sind die beiden Brüder im nationalistischen Milieu verwurzelt. Ihr Vater war Berater eines von der faschistischen MHP gestellten Kultusministers, der Onkel Abgeordneter dieser Partei. Raci Sasmaz hat zudem gute Kontakte zu Killern der Grauen Wölfe wie Oral Celik.

Elsässer will dem von neoliberaler Seite ausgelösten »Kampf der Kulturen« gegensteuern. Das ist unterstützenswert. Doch »Tal der Wölfe« mit seiner holzschnittartigen Frontstellung aus edelmütigen Muslimen und mutigen Türken gegen diabolische Christen und geldgierige Juden bleibt genau auf dieser Ebene des Kulturkampfes.

Es braucht nicht erst diesen Film, um über die Verbrechen der USA und ihrer Verbündeten im Irak in Wut zu geraten. Da reichen schon die täglichen Fernsehbilder von Abu Ghraib. In Reaktion auf die neuen Kolonialkriege ist »Tal der Wölfe: Irak« kein Aufruf zum antiimperialistischen Widerstand. Stattdessen sollen sich die Zuschauer an einem mit Antijudaismus angereicherten chauvinistischen Cocktail berauschen.

 

Angesichts dieses „Antiimperialismus der Dummen Kerls“ sollte Kriegsgegner nicht den Fehler machen und mit den (Grauen) Wölfen heulen.