Junge Welt 21.09.2002 Feuilleton
Ein
Buch erinnert an die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands
Während die Weimarer Justiz in ihrer Milde gegenüber
faschistischen Fememördern und Kapp-Putschisten völlige Blindheit auf dem
rechten Auge offenbarte, wurden Zehntausende von Strafverfahren gegen Anhänger
der radikalen Linken geführt. In der Anfangs- wie in der Schlußphase der
Weimarer Republik füllten jeweils über 7000 proletarische politische Gefangene
die Zuchthäuser der »ersten deutschen Demokratie«. Die Gerichtssäle waren ein
entscheidendes Feld der politischen Auseinandersetzungen.
Anfang der 30er Jahre gab es etwa 20 000 Rechtsanwälte in Deutschland. Ein
Großteil der »furchtbaren Juristen«, die den Blutgerichten des deutschen
Faschismus sekundierten, rekrutierte sich aus diesen Männern, die ihre
politische Erziehung noch im Kaiserreich erhalten hatten und entsprechend
antidemokratisch, republikfeindlich und national gesinnt waren.
Der Hamburger Rechtsanwalt Heinz-Jürgen Schneider hat sich zusammen mit dem
Thüringer Juristen Josef Schwarz und dessen Frau
Erika die Aufgabe gestellt, eine Gruppe von Rechtsanwälten dem Vergessen zu
entreißen, die sich im Unterschied zur Mehrzahl ihrer Berufskollegen während
der Weimarer Jahre als Anwälte der proletarischen Rechts- und
Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe Deutschlands an die Seite der
Arbeiterbewegung und des Fortschritts gestellt hatte. In wahrer Detektivarbeit
haben die Autoren 300 Kurzbiographien von Rechtsanwälten erstellt, die für die
Rote Hilfe in politischen Verfahren auftraten. Die Namen der Anwälte fanden
sich in Handbüchern der Roten Hilfe, in der persönlichen Handakte des
Rote-Hilfe-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, in den schwarzen Listen der politischen
Polizei oder in einigen Fällen nur in Form einer Rechnung, die ein Anwalt der
Roten Hilfe ausgestellt hatte.
In einer seiner letzten Arbeiten hat der verstorbene Michael Benjamin diese
Männer und Frauen, zu denen auch seine Mutter Hilde Benjamin gehörte, als
»juristische Gegenelite« bezeichnet. Wie ihre Standeskollegen stammten die
Rechtsanwälte der Roten Hilfe aus gutbürgerlichen Verhältnissen. In ihrer
Mehrzahl waren sie jüdischer Herkunft, und der latente bis offene
Antisemitismus in Deutschland hatte sie zu energischen Verteidigern der
demokratischen Errungenschaften gegen die rechtsextremen Gegner der Republik
werden lassen. Politisch kamen die Anwälte aus einem breiteren Spektrum, das
vom Anarchismus und Kommunismus über den Liberalismus bis zu Mitgliedern des Zentrums
reichte.
Der bekannte liberale Anwalt Alfred Apfel wurde von der Roten Hilfe in
publikumsträchtigen Fällen wie dem literarischen Hochverratsprozeß gegen den
Schriftsteller Johannes R. Becher, dem Wiederaufnahmeantrag des Revolutionärs
Max Hoelz und der Verteidigung des mutmaßlichen Horst-Wessel-Mörders Ali Höhler
engagiert.
Als »Mann, der Hitler in die Enge trieb« erlangte der anarchistisch orientierte
Hans Litten, der 1928 eine Anwaltskanzlei in Berlin eröffnete, die Bewunderung
der demokratischen Öffentlichkeit und den Haß der Nationalsozialisten. Beim
Prozeß um den Überfall eines SA-Rollkommandos auf den Berliner Tanzpalast Eden
gelang es Litten im Frühjahr 1931, Adolf Hitler persönlich als Zeugen
vorzuladen. Durch dessen Vernehmung wies Litten nach, daß die Gewaltakte der SA
einer planmäßigen Taktik ihres Führers entsprangen und die Legalitätsschwüre
Hitlers lediglich Täuschungsmanöver waren. Litten wurde noch in der Nacht des
Reichstagsbrandes in »Schutzhaft« genommen und nach langem Martyrium Anfang
1938 im KZ Dachau von den Faschisten in den Selbstmord getrieben.
Zu den bekanntesten sozialdemokratischen Anwälten der »Roten Hilfe« zählte Kurt
Rosenfeld, der bereits vor dem Krieg unter anderem als Verteidiger von Rosa
Luxemburg und Kurt Eisner tätig gewesen war.
In der KPD organisierte Kommunisten bildeten eine Minderheit unter den Anwälten
der Roten Hilfe. Oft arbeiteten kommunistische Anwälte in Bürogemeinschaften
mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen. Auch ihre Sekretärinnen und andere
Mitarbeiter bezogen sie dann aus dem Umfeld der Partei. So hatte sich in der
Potsdamer Straße in Berlin eine Gruppe kommunistischer Anwälte um Artur Samter
formiert, die als »Gruppe proletarisch gesinnter Juristen« bekannt wurde. »Für
mich war es bis zum letzten Prozeß im Februar 1933 vor dem 4. Strafsenat des
Reichsgerichts oberstes Prinzip meiner Tätigkeit, jedes Verfahren als ein Stück
Klassenkampf zu betrachten und zu führen, aggressiv, revolutionär aufzutreten«,
beschrieb Rolf Helm aus Dresden sein Selbstverständnis als kommunistischer
Anwalt.
In Organisationen wie der Internationalen Juristischen Vereinigung, aber auch
in Reichstagsausschüssen, die sich mit der Amnestiefrage oder der Reform des
Strafgesetzbuches befaßten, wirkten Kommunisten, Sozialdemokraten und
bürgerliche Demokraten auch zu einem Zeitpunkt zusammen, als ein
sozialdemokratischer Polizeipräsident 1929 das Feuer auf kommunistische
Maidemonstranten eröffnen ließ und Sozialdemokraten in der Propaganda der KPD
zu »Sozialfaschisten« mutierten. Die ungebrochene Zusammenarbeit
fortschrittlicher Juristen in der Roten Hilfe und der Internationalen
Juristischen Vereinigung legte somit einen Grundstein für die spätere Sammlung
sozialistischer und bürgerlicher Hitlergegner in der antifaschistischen
Volksfront.
Neben den Einzelbiographien bietet das Buch einen Kurzüberblick über die
Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands und einige der spektakulärsten Fälle
von Klassenjustiz während der Weimarer Jahre . Nicht durch die Quellenlage
nachweisbar ist allerdings die Angabe der Autoren, der Roten Hilfe hätten 15
000 Sozialdemokraten angehört. Ein Unvereinbarkeitsbeschluß der SPD verhinderte
erfolgreich, daß jemals mehr als 2000 SPD-Mitglieder der kommunistisch
geführten Rechtshilfeorganisation angehörten. Über die Hälfte der Ende 1932
über eine Million Einzel- und Kollektivmitglieder der Roten Hilfe waren im
übrigen parteilos, der Rest gehörte nahezu ausschließlich der KPD an.
Ein Vorläufer der heute wieder von der Roten Hilfe e.V. auf jeder Demonstration
verteilten Rechtshilfebroschüre »Was tun, wenn es brennt?« war die vom
KPD-Justitiar Felix Halle verfaßte Broschüre »Wie verteidigt sich der
Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und
Gericht?«. Ein Faksimile dieses Bestsellers der Roten Hilfe von 1931, der
unzähligen Antifaschisten half, auch ohne einen Anwalt vor Polizei und Gericht
standhaft zu bleiben, ist im Anhang des Buches abgedruckt.
Der Bremer Rechtsanwalt Heinrich Hannover weist im Vorwort des Buches auf die
Probleme hin, die beide deutsche Staaten mit der Erinnerung an die
Rechtsanwälte der Roten Hilfe hatten. Wenn auch einige von ihnen wie Hilde
Benjamin am Aufbau einer neuen Justiz in der DDR mitwirkten, waren doch auch
viele andere wie der kommunistische Justitiar Felix Halle zu Opfern der
Stalinschen Säuberungen in der sowjetischen Emigration geworden. Und die
Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches erinnerte sich nur
ungern an die vielen zumeist jüdischen Juristen, die von den Faschisten zuerst
erniedrigt und entrechtet, dann in die Emigration gezwungen oder ermordet
wurden. »Dieses Buch ist ein schon lange fälliger Versuch, diese Rechtsanwälte
aus einer Vergessenheit zu holen, in die sie von den Geschichtsschreibern der
Mächtigen verbannt worden sind«, so Heinrich Hannover.
Nick Brauns
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Heinz-Jürgen Schneider, Erika Schwarz, Josef Schwarz:: Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands – Politische
Strafverteidiger in der Weimarer Republik |