Junge Welt 19.03.2011
/ Geschichte / Seite 15
»Klarheit über alles«
Von der Reichskonferenz der Spartakus-Gruppe zur
Bildung der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft im Reichstag im März 1916
Von Nick
Brauns
Mitte März 1916 beendete der
Sozialist Karl Liebknecht eine Rede im preußischen Abgeordnetenhaus mit dem
flammenden Appell: »Ans Werk! Sowohl die in den Schützengräben wie die im Lande
– sie sollen die Waffen senken und sich gegen den gemeinsamen Feind kehren, der
ihnen Licht und Luft nimmt.«
Im Februar 1916 hatte mit einer deutschen Offensive die Schlacht um Verdun
begonnen (siehe jW-Geschichte vom 19.2.2011), die mit
ihren zusammen 600000 Toten auf beiden Seiten zum Sinnbild der
Materialschlachten des Ersten Weltkrieges wurde. An der »Heimatfront« führten
Lebensmittelknappheit und Preiswucher zu immer größerer Not der werktätigen
Bevölkerung. Die Ausnutzung der Parlamentstribüne
zum Appell an die unter den Kriegslasten leidenden Volksmassen mit und ohne
Uniform war eine direkte Umsetzung der Leitsätze der zur Gruppe
»Internationale« zusammengeschlossenen konsequent marxistischen Kriegsgegner
innerhalb der deutschen Sozialdemokratie.
Krieg dem Kriege
Die Gruppe »Internationale« hoffte auf »Zurückeroberung der Partei von unten
durch Rebellion der Massen«. Dafür distanzierte sie sich scharf vom Verrat der
»Sozialchauvinisten« innerhalb der Sozialdemokratie, die den Krieg offen
unterstützten. Gleichzeitig kritisierte sie pazifistische Illusionen der
Mehrheit der Kriegsgegner innerhalb der sozialdemokratischen
Reichstagsfraktion. Diese vertrauten auf internationale Schiedsgerichte zur
Kriegsverhinderung bei Beibehaltung des Kapitalismus sowie zahnlose
Friedensappelle auf parlamentarischer Ebene. »Gegen den Imperialismus muß der proletarische Klassenkampf im Frieden wie im Krieg
in erster Reihe konzentriert werden«, forderte die Gruppe statt
dessen in ihren zu Jahresbeginn 1916 beschlossenen Leitsätzen. »Der
Kampf gegen ihn ist für das internationale Proletariat zugleich der Kampf um
die politische Macht im Staate, die entscheidende Auseinandersetzung zwischen
Sozialismus und Kapitalismus. Das sozialistische Endziel wird von dem internationalen
Proletariat nur verwirklicht, indem es gegen den Imperialismus auf der ganzen
Linie Front macht und die Losung ›Krieg dem Kriege‹ (…) zur Richtschnur seiner
praktischen Politik erhebt.«
Als Lehre aus dem Zusammenbruch der Arbeiterinternationale forderte die Gruppe,
die nach ihren mit dem Namen des antiken römischen Sklavenführers Spartakus
unterzeichneten »Politischen Briefen« fortan als Spartakus-Gruppe bekannt
wurde, die Schaffung einer neuen Internationale nach dem Prinzip des
demokratischen Zentralismus: »Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der
Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran.«
Für die Zentristen – Revolutionäre nur dem Lippenbekenntnis nach, aber
Opportunisten in ihrer Praxis – innerhalb der Berliner sozialdemokratischen
Opposition um Georg Ledebour und Adolph Hoffmann
waren diese Beschlüsse Grund zum Abbruch der Zusammenarbeit mit der
Spartakus-Gruppe. In einem Flugblatt gegen die Spartakus-Gruppe verlangten Ledebour und Hoffmann im Namen der Einheit einen Verzicht
auf eine Diskussion über die Fehler der Vergangenheit. »Nicht ›Einheit‹,
sondern Klarheit über alles«, begrüßte Liebknecht dagegen in den
Spartakus-Briefen den Bruch mit den Zentristen. »Durch unerbittliche Aufdeckung
und Austragung der Differenzen zur prinzipiellen und taktischen Einmütigkeit
und damit zur Aktionsfähigkeit und damit zur Einheit, so geht der Weg.«
Auf ihrer Januarkonferenz hatte es die Spartakus-Gruppe noch versäumt, ein
Aktionsprogramm auszuarbeiten. Eine weitere unter anderem von Liebknecht, der
im Februar aus der Haft entlassenen Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Ernst
Meyer einberufene Reichskonferenz mit 17 Delegierten aus acht Berliner
Wahlkreisen sowie 17 Vertretern aus dem übrigen Reich, widmete sich am 19. März
1916 in Berlin dieser Ausarbeitung. Aus Berichten von Vertrauensleuten aus den
verschiedenen Teilen des Reiches ließ sich ein Anwachsen der Autorität der
Spartakus-Gruppe innerhalb der oppositionellen Sozialdemokraten erkennen. Rosa
Luxemburg, die zur Frage einer neuen Internationale referierte, begrüßte zwar
die bevorstehende zweite Konferenz internationaler sozialistischer Kriegsgegner
im schweizerischen Zimmerwald, doch sie warnte zugleich vor einer Überschätzung
dieses Treffens. Es komme vor allem auf den revolutionären Kampfgeist und die
Aktion der Massen an, dann werde sich die organisationspolitische Form schon
finden, heißt es in ihrer von der Konferenz beschlossenen Resolution. Als
konkrete Maßnahmen wurden in einer weiteren von Karl Liebknecht ausgearbeiteten
Resolution von sozialistischen Parlamentariern zum »Abstreifen der Fesseln des
Burgfriedens« gefordert, die Kriegskredite unter grundsätzlicher
sozialistischer Begründung abzulehnen. Es gelte, alle Mittel der
parlamentarischen Geschäftsordnung und Aktion auszunutzen, um durch »ständige
Beunruhigung und schärfste Kritik der imperialistischen Mehrheiten und ihrer
Regierungen die Massen aufzurütteln und zu nachdrücklichen Willenskundgebungen
gegen den Krieg und für die internationale und sozialistische Solidarität zu
ermutigen«.
Linke sortiert sich neu
Am 24. März stimmten außer Karl Liebknecht und dem gleichfalls linksradikalen
Otto Rühle 18 weitere sozialdemokratische Abgeordnete gegen den von der
Mehrheit der Reichstagsfraktion bewilligten Nothaushalt der Regierung. Der Kovorsitzende der Partei, Hugo Haase, begründete dies mit
der traditionell ablehnenden Haltung der Sozialdemokratie zum Etat. Nachdem
Liebknecht bereits im Januar aus der Fraktion ausgeschlossen worden war, beschloß die kriegsunterstützende Mehrheit nun den Fraktionsausschluß der übrigen Etatverweigerer. Haase legte
daraufhin sein Amt als Parteivorsitzender nieder.
Die Ausgeschlossenen konstituierten sich zur Sozialdemokratischen
Arbeitsgemeinschaft (SAG) mit Haase, Ledebour und
Wilhelm Dittmann als Vorstand, betrachteten sich aber weiterhin als Mitglieder
der Sozialdemokratischen Partei. Ende März sicherte der Zentralvorstand der
Berliner Sozialdemokratie der SAG seine Unterstützung zu, weitere Gliederungen
im ganzen Reich folgten. Liebknecht erklärte dagegen, er werde der SAG erst
beitreten, wenn diese die Ablehnung des Haushalts nicht bloß mit der
traditionellen Budgetverweigerung begründe und ihren Willen zu revolutionärer
Antikriegspropaganda und Unterstützung außerparlamentarischer Antikriegsproteste
offen zu erkennen gebe. »Die äußerliche Sammlung eines bunten Gemischs mehr
oder weniger unklarer Oppositionsstimmungen und -motive bildet stets eine
ernste Gefahr – die ernsteste in den Tagen einer Weltwende«, hieß es warnend in
den Spartakus-Briefen. »Sie wirkt verwirrend; sie verbreitet die Seuche des
Fortwurstelns. Sie entzieht den tatkräftigen Elementen, die in die bunte
Gemeinschaft geraten, ihre besten Kräfte, die sie fesselt und lähmt.« Aus dieser politischen Strömung sollte sich im folgenden
Jahr die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)
konstituieren.
--------------------------------------------------------------------------------------
»Die Aufgaben der deutschen Opposition«
Stenographische Notizen von Karl Liebknechts Referat
auf der Reichskonferenz der Spartakus-Gruppe am 19. März 1916
„Die Internationale ist zusammengebrochen. (…) Die Führer haben die Prinzipien
verraten. Aber auch die Masse hat versagt. Die ganze Organisation hat die
Massen zu hilfslosen Haufen gemacht, die ohne Leithammel nicht auskommen. (…)
Wir haben uns zunächst klarzumachen, daß die
Aktionsfähigkeit einer Partei nicht in irgendeiner Weise von der Zahlengröße
ihrer Anhänger abhängig ist, daß sie im Verhältnis
steht zu dem Maß an Übereinstimmung der Gedanken, der prinzipiellen Auffassung,
der taktischen Bestrebungen und im direkten Verhältnis zu der Energie, dem
festen Willen, die den Massen selbst anerzogen ist. Daraus erkennen wir unsere
Aufgabe für die weitere Zukunft. Die Schwäche unser
Partei liegt darin, daß man immer fünf hat gerade
sein lassen. Einigkeit war die Hauptsache, und faktisch war es nichts weiter
als der tiefste Krebsschaden. Das Brandmal der Schwäche war diese Einigkeit und
nicht ein Anlaß zum Triumph. Daraus müssen wir
entnehmen, die Pflicht in den Vordergrund der Aufgaben zu stellen, die scharfe
Klärung der Grundsätze, daß sie nicht, von
Autoritätsglauben erfüllt, einzelnen folgt, sondern jeder einzelne selbst
denkt, selbst überlegt und selbst handelt aus eigenem Entschluß.
(…) Es ist die besondere Aufgabe von uns, aufrüttelnd auf die Massen zu wirken.
(…) Unsere Parole ist Klärung der Massen nach unseren Grundsätzen, sie zu
Aktionen erziehen, Aktionen, die vorhanden sind, zu unterstützen und so die
gegenwärtige Epoche zu einer revolutionären zu gestalten.«
aus: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften Bd. VIII, Berlin/DDR
1974, S. 547–550