junge Welt vom 09.01.2006   Feuilleton

Schwarzer Nationalismus

Die Komintern und die »Negerfrage«: Wie die kommunistische Bewegung die Befreiung in den USA und Südafrika diskutierte

Nick Brauns   Die Haltung der kommunistischen Bewegung zum schwarzen Nationalismus bildet den Schwerpunkt einer neuen Veröffentlichung der österreichischen Arbeitsgruppe Marxismus. Im Hauptbeitrag der Broschüre »Schwarze befreiung und revolutionäre Bewegung in den USA und Südafrika« geht Kaneshka Shokran auf die unterschiedlichen Ansätze schwarzer Befreiung in den USA ein – von Brooker T. Washingtons (1856-1915) Hoffnung auf die Herausbildung einer schwarzen Unternehmerklasse über W. E. B. DuBois (1868–1963) elitären Panafrikanismus mit Betonung des kulturellen Erbes der »schwarzen Rasse« bis zu Marcus Garveys (1887–1940) millionenstarker Bewegung für eine »Rückkehr« nach Afrika.

Während die reformistische Socialist Party Garveys Bewegung als »schwarzen Zionismus« verurteilte, betrachtete die Kommunistische Partei die Schwarzen in den USA nach dem 4. Kominternkongreß 1921 als innere Kolonie, deren Selbstbestimmungsrecht bis hin zur Bildung eines eigenen »schwarzen« Staates in Nordamerika sie verteidigte. Doch noch 1928 beklagte der Generalsekretär der kommunistischen Roten Gewerkschaftsinternationale, Alexander Losowsky, daß »der schwarze Arbeiter bis heute das Stiefkind der proletarischen Familie« geblieben sei. Während des Zweiten Weltkriegs stellte die KP dann den Kampf gegen die rassistischen Jim-Crow-Gesetze zugunsten des Krieges gegen das Naziregime zurück.

Die trotzkistische Socialist Workers Party sah im »schwarzen Chauvinismus« eine »natürliche Übertreibung des Wunsches nach Gleichheit«. Im Unterschied zu weißem Chauvinismus als Ausdruck rassistischer Herrschaft sei der schwarze Nationalismus damit essentiell fortschrittlich. »Die weißen Sklavenhalter bringen den Negern bei, nicht als erste zu sprechen. Wir müssen uns ihnen überall nähern, indem wir befürworten, daß sie für jeden Lynchmord zehn oder zwanzig Lyncher lynchen sollten«, riet Trotzki seinen nordamerikanischen Genossen.

Bis heute prägende Leitfiguren schwarzer Befreiung wie Martin Luther King und Malcolm X sowie die Nation of Islam finden fast gar keine Erwähnung – in einem Buch über »Schwarze Befreiung« ein deutliches Manko. Und nur wenig Neues bringen weitere Artikel über die Black Panther Party und Angela Davis. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit der unter südafrikanischen Trotzkisten in den 30er Jahren geführten Debatte über eine »Black Republic« sowie der heute im akademischen Milieu wieder in Mode kommenden Diaspora-Theorie.

Von großer Aktualität angesichts der durch Oskar Lafontaines »Fremdarbeiter«-Äußerungen ausgelösten Diskussion ist eine Untersuchung von Markus Kadlec zur Positionsentwicklung der II. und III. Internationale zur Migration. Schon vor dem Ersten Weltkrieg fand sich innerhalb der Sozialdemokratie ein Flügel, der vom Staat Maßnahmen gegen die Einwanderung »schlecht bezahlter, gefügiger und arbeitswilliger Elemente« und »Arbeiter rückständiger Rassen (wie Chinesen, Neger usw.)« forderte. Dagegen setzte sich der Stuttgarter Kongreß 1907 für völlige rechtliche Gleichstellung von Migranten mit Inländern ein. »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, daß die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein«, so Karl Liebknecht. In dieser Tradition wies die Rote Gewerkschaftsinternationale (1920–1937) die von reformistischen Gewerkschaften unterstützte Politik der Einwanderungsregelung durch Auslese, Beschränkungen und Verbote zugunsten des Kampfes um völlige Freiheit der Aus- und Einwanderung sowie den Schutz der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Interessen ausländischer Arbeiter strikt zurück.

Im Anhang werden die Kominternresolution zur sogenannten Negerfrage sowie erstmals auf Deutsch ein Diskussionsbeitrag Trotzkis zu Südafrika sowie zwei Artikel des schwarzen US-Marxisten C. L. R. James veröffentlicht.

* Schwarze Befreiung und revolutionäre Bewegung in den USA und Südafrika, Marxismus Nr. 26, 161 S. brosch., 8 Euro, ISBN 3-901831-23-3. Bestellung über AGM, Postfach 62,

A-1152 Wien, oder E-Mail: agm@agmarxismus.net

 

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