Aus: junge
Welt Ausgabe vom
26.04.2017, Seite 14 / Feuilleton
Rotlicht: 1. Mai
Von Nick
Brauns
Seinen
eigentlichen Ursprung als »Tag der Arbeit« hat der 1. Mai in der britischen
Kolonie Victoria, dem heutigen Australien. Dort hatten die Arbeiter mit einem
eintägigen Streik im Jahr 1856 den Achtstundenarbeitstag erkämpft, der erstmals
am 1. Mai des Jahres in Kraft trat. Dieses Vorbild hatten Hunderttausende
Arbeiter in den USA vor Augen, als sie 30 Jahre später am 1. Mai 1886 – dem traditionellen
Stichtag für den Abschluss von Arbeitsverträgen – in einen mehrtägigen Streik
für den Achtstundentag traten. Nachdem ein Provokateur während einer Kundgebung
auf dem Haymarket in Chicago eine Bombe auf die
Polizei geworfen hatte, wurden vier an dem Anschlag unbeteiligte anarchistische
Streikführer nach einem Schauprozess hingerichtet.
Da der
US-amerikanische Arbeiterbund bereits den 1. Mai 1890 als landesweiten
Gedenktag für die Haymarket-Märtyrer beschlossen
hatte, einigten sich die Delegierten auf dem Pariser Gründungskongress der
Zweiten Internationale im Juli 1889 auf diesen Termin für »eine große
internationale Manifestation«. Diese sollte so stattfinden, »dass gleichzeitig
in allen Ländern und allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die
öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden
festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des internationalen Kongresses von
Paris zur Ausführung zu bringen.« Zu diesen von rechten Gewerkschaftsbürokraten
gerne ignorierten »übrigen Beschlüssen« gehörte der Erhalt des Friedens »als
die erste und unerlässliche Bedingung jeder Arbeiteremanzipation.« Betont wurde, dass »der Krieg, das traurige Produkt der
gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse, erst verschwinden wird, wenn die
kapitalistische Produktionsweise der Emanzipation der Arbeit und dem
internationalen Sozialismus Platz gemacht hat.«
Trotz
drohender Sanktionen beteiligten sich zum 1. Mai 1890 erstmals deutschlandweit
100.000 Arbeiter an Streiks, Demonstrationen und Feiern. Auch in vielen anderen
Ländern kam es zu großen Kundgebungen. Im folgenden Jahr beschloss die Zweite
Internationale, den Maifeiertag von nun an jährlich als »gemeinsamen Festtag
der Arbeiter aller Länder« zu begehen, um »die Gemeinsamkeit ihrer Forderungen
und ihrer Solidarität« zu bekunden.
Immer wieder
kam es anlässlich des 1. Mai in verschiedenen Ländern zu blutigen
Auseinandersetzungen. So verbot 1929 die sozialdemokratische Regierung in
Preußen alle Maiaufzüge unter freiem Himmel. Als die Kommunistische Partei in
Berlin dennoch zu Demonstrationen aufrief, wurden 32 Arbeiter von der Polizei
erschossen. Beim »blutigen 1. Mai 1977« in Istanbul eröffneten Scharfschützen
der NATO-Geheimtruppe »Gladio« das Feuer auf eine
Kundgebung von einer halben Million Anhängern der linken
Gewerkschaftsföderation DISK auf dem Taksim-Platz,
und Panzerwagen rasten in die Menge. 34 Demonstranten starben und Hunderte
wurden verwundet.
Zum
gesetzlichen Feiertag wurde der 1. Mai in Deutschland ab 1933 als »Tag der
Deutschen Arbeit« ausgerechnet durch die Nazis, deren Rollkommandos bereits am
2. Mai die Gewerkschaftshäuser stürmten. In der DDR wurden die sozialistischen
Errungenschaften alljährlich mit großen Paraden am 1. Mai gefeiert. Doch auch
in der Bundesrepublik wurde der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
organisierte einstige Kampftag der Arbeiterklasse zunehmend zum Ritual, bei dem
Bratwurst und Bier rote Fahnen und Arbeiterfäuste in den Hintergrund drängten.
In
Berlin-Kreuzberg errichteten Autonome am 1. Mai 1987 nach Polizeiübergriffen
auf ein Straßenfest Barrikaden und vertrieben die Polizei über Stunden aus dem
Bezirk. Seitdem rufen linksradikale Gruppen zur Revolutionären 1. Mai-Demonstration
in Kreuzberg auf, die mittlerweile trotz aller Befriedungsversuche durch ein
unpolitisches sogenanntes Myfest im Kiez mehr
Teilnehmer als der Demonstrationszug des DGB zählt.