Vieles verloren

 

Revolution und Konterrevolution

 

Von Erika Sophie Schwarz

 

„Was sich unsere Väter in Jahrzehnten erkämpft haben, ist innerhalb von fünf Jahren verschwunden“, bedauert ein ehemaliger Bergmann vom Niederrhein in der kürzlich von arte ausgestrahlten Sendung „Weil auch du ein Arbeiter bist“. Angesichts des massiven Angriffs des Kapitals auf die Rechte der Arbeiter, angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen und wilder Globalisierung erinnert der Münchner Historiker Nikolaus Brauns an Kämpfe, Siege und Niederlagen der Arbeiter im 19. und 20. Jahrhundert.

Der Bogen wird geschlagen von der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation durch Marx und seine Mitstreiter 1864 über die Klassenkämpfe der Weimarer Republik, den Aufstieg und den Niedergang der Sowjetunion bis zum antikolonialen Befreiungskampf und dem Aufstand der französischen Arbeiter und Studenten im Jahr 1968. Es gehört heute keineswegs mehr zum Allgemeinwissen, daß der Schneider Johann Georg Eccarius aus Friedrichsroda 1864 in London zum Generalsekretär der I. Internationale gewählt wurde. Selbst Ursprung und Sinn des 1.Mai, der seit 1890 als Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse begangen wird, ist vielen verloren gegangen. Dabei ist es gerade heute wichtig, daran zu erinnern, daß die Arbeiter aller Länder zu einer Zeit, als die Länge des Arbeitstages völlig von der Willkür der Unternehmer abhing und zehn, zwölf oder mehr Stunden betragen konnte, durch die alljährliche Arbeitsniederlegung am 1.Mai schließlich den gesetzlich festgelegten Acht-Stunden-Tag erreichten. Heute, wo auf Grund der technischen Entwicklung eigentlich eine Kürzung des Arbeitstages angesagt wäre, versuchen die Unternehmer – dazu gehört auch die öffentliche Hand -, diesen Prozeß umzukehren und nicht nur den Arbeitstag, sondern auch Lebensarbeitszeit zu verlängern.

Brauns erinnert aber auch daran, daß es die Arbeiter waren, die während des Kapp-Putsches die Weimarer Republik retteten, und wie viele Opfer sie gebracht haben bei den Versuchen der Konterrevolution, die Zeit zurückzudrehen. Dafür stehen Namen wie Kurt Eisner und Eugen Leviné. Schließlich berichtet der Autor, der Verfasser der ersten umfassenden Geschichte der roten Hilfe Deutschlands war, über den Rechtsanwalt der Roten Hilfe Hans Litten und über den Künstler und Kommunisten Heinrich Vogler, der sein Haus, den Barkenhoff in Worpswede, der Roten Hilfe als Kinderheim zur Verfügung stellte. Die Internationale Rote Hilfe war es auch, die die weltweiten Proteste gegen das politisch motivierte Todesurteil in den USA gegen Sacco und Vanzetti organisierte ...

Was zunächst wie ein historischer Abriß zur Geschichte der Arbeiterbewegung erscheint, erweist sich beim Lesen als ein durchaus aktueller Stoff mit vielen Beziehungen zur Gegenwart, die der Leser selbst finden wird.

 

Aus: Neues Deutschland – Literaturbeilage zur Leipziger Buchmesse 2006, 15.März 2006