Razzia mit Vorankündigung

Türkei: Schlag gegen Medien der Gülen-Bewegung. Whistleblower hatte gewarnt

Von Nick Brauns

Die türkische Polizei hat am Sonntag Redaktionsräume der auflagenstarken Tageszeitung Zaman und des Fernsehsenders Samanyolu durchsucht. Die Medien gehören zum pantürkisch-islamisch ausgerichteten Netzwerk des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen. Mindestens 23 Medienmitarbeiter und hochrangige Polizeioffiziere wurden nach Angaben der regierungsnahen Tageszeitung Sabah in 13 Provinzen festgenommen. Sie sollen im Jahr 2010 durch die Produktion falscher Anschuldigungen und Beweise die Inhaftierung von Anhängern einer angeblich Al-Qaida nahestehenden religiösen Gruppe namens »Tahsiyeciler« betrieben haben. Deren Vordenker, der pensionierte Imam Mehmet Dogan, hatte sich gegen die Islamauslegung Gülens gestellt.

Es war eine Razzia mit Ankündigung. So hatte ein Twitterer, der sich FuadAvni nennt, bereits am Donnerstag Massenverhaftungen von Hunderten von ihm namentlich genannten Gülen-Anhängern für Freitag vorhergesagt. Bereits mehrfach hatte FuadAvni, bei dem es sich um einen Gülen-Sympathisanten aus dem inneren Kreis um Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan handeln soll, solche Polizeioperationen angekündigt, die tatsächlich stattfanden. Aufgrund von FuadAvnis Warnung hatten sich Hunderte Gülen-Anhänger um das Redaktionsgebäude der Zaman im Istanbuler Stadtteil Yenibosna versammelt und damit wohl die Razzia zum geplanten Datum verhindert. Nachdem FuadAvni am Samstag die Verschiebung der Operation auf Sonntag ankündigte, rief Zaman-Chefredakteur Ekrem Dumanli die Polizei in einer live im Fernsehen übertragenen Rede auf, ihn in seinem Büro zu verhaften. Da sich erneut Hunderte Gülen-Anhänger in den Gängen des Redaktionsgebäudes versammelt hatten, konnte die Polizei zunächst Sonntag früh »ihren Auftrag nicht erfüllen«, meldete die Online-Ausgabe der Zaman. Gegen Mittag erfolgte dann jedoch seine Festnahme vor laufenden Kameras. Auch Samanyolu-Chef Hidayet Karaca und weitere Mitarbeiter des Senders wurden verhaftet.

Am Wochenende hatte die Süddeutsche Zeitung eines der seltenen Interviews mit Gülen veröffentlicht, in dem dieser Erdogan vorwarf, die Türkei in einen »Ein-Mann-Staat« zu verwandeln. »Nachdem das Land vom Joch des Militärs befreit war«, habe die Regierungspartei AKP »das Joch einer Partei errichtet«. Tatsächlich ist das Verhältnis der Gülenisten zu demokratischen Rechten lediglich taktisch motiviert. Solange Gülen und Erdogan eine Allianz zur Ausschaltung gemeinsamer Gegner gebildet hatten, zögerten Gülen-nahe Staatsanwälte nicht damit, über 100 oppositionelle Journalisten in Haft zu nehmen.

Der Machtkampf zwischen Gülen und Erdogan war vor einem Jahr offen ausgebrochen, nachdem Gülen-nahe Staatsanwälte Erdogans Drohung, Bildungsinstitute der Gülen-Bewegung zu schließen mit einem Korruptionsermittlungsverfahren gegen führende AKP-Politiker konterten. Erdogan sprach von einem Putschversuch eines von den Gülenisten gebildeten »Parallelstaates« und ließ Tausende Polizisten und Justizangestellte versetzen. Dutzende hochrangige Polizisten wurden unter dem Vorwurf der Verschwörertätigkeit inhaftiert.

Angesichts der zunehmenden Differenzen zwischen Ankara und Washington setzt Erdogan jetzt auf die Ausschaltung der Gülen-Bewegung als Einflusswerkzeug der USA im eigenen religiös-konservativen Lager. Hatte bereits die Weigerung der türkischen Regierung, den USA die Nutzung türkischer Flughäfen für den Kampf gegen die von Ankara logistisch unterstützen Dschihadisten des »Islamischen Staates« zur Verfügung zu stellen, für Unmut gesorgt, so überschritt Erdogan mit seinem Schulterschluss mit dem vom Westen mit Sanktionen belegten russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit dem er weitreichende wirtschaftliche und energiepolitische Projekte vereinbarte, eine rote Linie Washingtons. Die Gülen-Bewegung wiederum gilt als äußerst US-nah. Die Beziehungen ihres seit Ende der 90er Jahre im US-Bundesstaat Pennsylvania lebenden Führers zum US-Geheimdienst CIA reichen bis in die 60er Jahre zurück, als Gülen die Filiale des »Vereins zur Bekämpfung des Kommunismus« in seiner Heimatstadt Erzurum gründete.

Junge Welt 15.12.2014

 

Warnschuss gegen Erdogan

Drei Türken wegen Agententätigkeit in Deutschland verhaftet. Sie sollen Gülen-Bewegung – ehemals Verbündete des Präsidenten – ausgespäht haben

Von Nick Brauns

Die Verhaftung von drei mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland ist ein Zeichen zunehmender Spannungen mit dem NATO-Partner Türkei. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat durch seinen Schulterschluss mit dem von EU und USA zum Paria gestempelten russischen Staatschef Wladimir Putin eine rote Linie überschritten. Umso erstaunlicher ist es, dass der »Agententhriller«, wie Bild es nannte, bereits nach zwei Tagen wieder aus den deutschen und türkischen Medien verschwunden war.

Mitte vergangener Woche waren die drei türkischen Staatsangehörigen Muhammed Taha G., Ahmet Duran Y. und Göksel G. aufgrund eines Haftbefehls der Generalbundesanwaltschaft wegen »dringenden Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit« in Untersuchungshaft genommen worden. Zwei Männer wurden bei ihrer Einreise am Flughafen Frankfurt am Main festgenommen, der dritte an seinem Wohnort in Wuppertal. Bei dem 58jährigen Muhammed Taha G. handelt es sich nach Recherchen der türkischen Tageszeitung Sözcü um einen Vertrauten Erdogans. G. gehört der Regierungspartei AKP an und bekleidete verschiedene Ämter in der Staatsbürokratie, so im Aufsichtsrat der staatlichen Halkbank (Volksbank). Unter seiner Leitung sollen die beiden anderen mutmaßlichen Agenten »Informationen über in der Bundesrepublik lebende Landsleute und hiesige Organisationsstrukturen gesammelt« haben, erklärte die Generalbundesanwaltschaft, ohne Details zu nennen.

»Erdogan will die Opposition, Mitglieder der Gülen-Bewegung und PKK-Mitglieder ausspähen«, erfuhr dagegen Bild von einem Mitarbeiter eines deutschen Geheimdienstes. Die Bewegung des im US-Exil lebenden pensionierten türkischen Imams Fethullah Gülen ist in der Bundesrepublik mit zahlreichen Privatgymnasien und Nachhilfeinstituten, einem Unternehmerverband, der Tageszeitung Zaman und der Online-Zeitung Deutsch-Türkisches Journal sowie sogenannten »Dialog-Vereinen« für Lobbyarbeit in der deutschen Politik präsent. Erdogan beschuldigt die lange mit ihm verbündete Gülen-Bewegung, die über großen Einfluss im Polizei- und Justizapparat der Türkei verfügt, einen »Parallelstaat« errichtet und einen Putschversuch gegen seine Regierung unternommen zu haben. Mit Razzien bei Gülen-nahen Zeitungen und Fernsehsendern sowie der Festnahme von Journalisten eskalierte der Machtkampf im religiösen Lager der Türkei vor einer Woche weiter.

EU und USA hatten diese Durchsuchungen scharf verurteilt. Die Verhaftung der mutmaßlichen MIT-Agenten erscheint somit als eine Antwort auf Erdogans Drohung, auch im Ausland Strukturen des »Parallelstaates« attackieren zu wollen. Die Gülen-Bewegung, deren Guru seit den 60er Jahren Beziehungen zum US-Geheimdienst CIA unterhält, gilt als Bündnispartnerin der Vereinigten Staaten. Und auch die Bundesregierung hat auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion Kooperationen mit Gülen-nahen Vereinigungen unter anderem im wirtschaftspolitischen Bereich eingestanden.

Erst im Juni hatte die Linksfraktion in einer kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen wollen, welche Informationen diese über die Beobachtung oder Infiltrierung von türkischen und kurdischen Gemeinden und Oppositionsgruppierungen in der Bundesrepublik durch den MIT habe. Da »die Antwort Rückschlüsse auf Aufklärungsaktivitäten- und -schwerpunkte der deutschen Dienste zulassen«, stufte die Regierung die Beantwortung dieser Fragen als »vertrauliche Verschlussache« ein und gab damit zumindest indirekt zu, die Aktivitäten ihres türkischen Partnerdienstes innerhalb der Bundesrepublik auf dem Schirm zu haben.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bestritt jegliche Beziehungen der drei Verhafteten zum MIT. Die Verhaftungen erscheinen indes nicht nur als ein Warnschuss gegen Erdogan und seine zunehmend antiwestliche Politik, sondern auch als Retourkutsche. Denn die türkische Regierung hatte im September den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt, nachdem der Spiegel enthüllt hatte, dass die Türkei im aktuellen Auftragsprofil des Bundesnachrichtendienstes (BND) als Ziel von Spionageaktivitäten enthalten ist. Aus Kreisen der Bundesregierung verlautete damals gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Aufklärungsaktivitäten zielten auf auch in Deutschland aktive »links- und rechtsextreme« sowie kurdische Gruppierungen. Gerade in diesem Bereich hatten BND und Verfassungsschutz bislang allerdings eng mit dem MIT kooperiert. So übernahm der BND 2002 einen V-Mann des MIT innerhalb der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front DHKP-C als eigenen Agenten, der bis zum Deutschlandchef der auf der EU-Terrorliste geführten und in der BRD verbotenen linksradikalen Vereinigung aufstieg, ehe er 2010 mit weiteren DHKP-C Mitgliedern verhaftet wurde.

Junge Welt 22.12.14