Aus: tag der mahnung, Beilage der jW vom 12.09.2009

50 Jahre Gedenken in Ravensbrück

Mit einem umfangreichen Kulturprogramm aus Lesungen, Vorträgen und Diskussionen begeht die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück in diesen Tagen ihr 50jähriges Bestehen

Von Nick Brauns

Ende 1938 ließ die SS im Dorf Ravensbrück nahe dem mecklenburgischen Luftkurort Fürstenberg das einzige großes KZ innerhalb Deutschlands für weibliche Gefangene errichten. 1941 wurde ein kleineres Männer-Lager angegliedert. Zu den inhaftierten Frauen gehörten so bekannte Antifaschistinnen, Kommunistinnen und Demokratinnen wie Katja Niederkirchner, Olga Benario, Rosa Thälmann, Margarete Buber- Neumann, Esther Bejarano, Rosa Jochmann, Helen Ernst, Milena Jesenská, Geneviève de Gaulle- Anthonioz und Germaine Tillion. Doch neben den politischen Aktivistinnen waren auch zahlreiche andere Gruppen – von Jüdinnen über Zeugen Jehovas bis zu Prostituierten – hier inhaftiert.

Bis zur Befreiung durch die Rote Armee wurden schätzungsweise 132000 weibliche Häftlinge und ihre Kinder sowie 20000 männliche Häftlinge nach Ravensbrück gebracht. Dazu kamen 1000 Mädchen, die ab 1942 im »Jugendschutzlager Uckermark« gefangen gehalten wurden. Weit über ein Drittel der Gefangenen – nach machen Schätzungen über 90000 – überlebte die Haft nicht. Sie starben an Hunger und Seuchen, wurden in medizinischen Versuchen zu Tode gequält, durch Exekutionen oder Giftgas, zu Kriegsende durch »Vernichtung durch Arbeit« oder auf Todesmärschen ermordet. Tausende Häftlinge starben als Juden oder im Rahmen der Aktion »14f13« als »lebensunwertes Leben« in Gaskammern auf dem Gelände des Jugendschutzlagers sowie in der »Heil- und Pflegeanstalt Bernburg«.

Unmittelbare Profiteure des KZ waren Rüstungskonzerne, die in rund 45 Außenlagern die Sklavenarbeit der KZ-Gefangenen ausbeuteten. So hatte der Elektrokonzern Siemens & Halske unmittelbar neben dem KZ einen modernen elektrotechnischen Betrieb mit 20 Werkshallen errichtet. Daneben mußten Frauen in einer Schneiderei Uniformen für die Waffen-SS produzieren.

Angesichts der vorrückenden Roten Armee ließ der Lagerkommandant Fritz Suhren nach einem Räumungsbefehl des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, die verbliebenen 20000 Häftlinge in mehreren Marschkolonnen nach Nordwesten treiben. Als sowjetische Soldaten der zweiten belorussischen Front gemeinsam mit polnischen Kameraden am 30.April 1945 das KZ Ravensbrück befreiten, fanden sie nur noch 3500 Kranke und Kinder vor, die zu schwach für die Evakuierung gewesen waren. Viele von ihnen überlebten ihre Befreiung nur um wenige Wochen oder Monate, bevor sie an den Folgen der Haft starben.

Im September 1948 fand eine erste Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen KZs statt. An einer provisorischen Gedächtnisstätte aus einer Stele mit Feuerschale wurden Kränze niedergelegt. Die sowjetische Armee hatte nach der Befreiung große Teile des Lagerkomplexes als Kaserne genutzt, während andere Bereiche verfielen. Ehemalige Gefangene bemühten sich daher gemeinsam mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) um die Errichtung einer Gedenkstätte. Am 12. September 1959 wurde schließlich die »Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück« als die kleinste der drei nationalen KZ-Gedenkstätten der DDR eröffnet. Die anderen Gedenkstätten waren Buchenwald und Sachsenhausen.

Das Buchenwald-Kollektiv hatte auch das Konzept der Gedenkstätte Ravensbrück erarbeitet. Die Aufgabenstellung lautete: »Die Nationale Gedenkstätte soll in ihrer Gestaltung eine Würdigung des Kampfes und der Leiden von 92 000 dort ermordeten Frauen aus 20 Nationen sein.« Das Zentrum und Wahrzeichen bildete die Bronzeskulptur »Tragende« von Will Lammert. Es ragt auf einer Terrasse weit in den Schwedt-See hinein, in dem die Asche Tausender ermordeter Frauen und Kinder versenkt worden war.

Die Eröffnung der Gedenkstätte wurde als Staatsakt mit mehr als 70 000 Gästen, darunter zahlreichen KZ-Überlebenden inszeniert. Die Einweihungsrede hielt die ehemalige Ravensbrücker Gefangene Rosa Thälmann, die Witwe des im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann.

Die Gefangenen im KZ Ravensbrück stammten aus fast allen europäischen Ländern. Um das zu dokumentieren, wurde ab 1982 in enger Zusammenarbeit mit kommunistischen Parteien und KZ-Überlebenden anderer europäischer Länder eine »Ausstellung der Nationen« im ehemaligen Zellenbau mit 17 nationalen Gedenkräumen gestaltet. 1984 wurde in der ehemaligen SS-Kommandantur ein Museum des antifaschistischen Widerstandes eröffnet. Dagegen war die Erinnerung an die jüdischen Häftlingsfrauen lange Zeit ausgeblendet, da die offizielle Geschichtsschreibung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten in der DDR die Häftlingsgruppen unter ihre Nationalität subsumierte. Entsprechend tauchten Jüdinnen und Juden nicht als eigene Verfolgtengruppe auf. Erst Mitte der 80er Jahre wurden auch andere Opfergruppen wie Jüdinnen sowie Sinti und Roma gewürdigt.

Nachdem die Gedenkstätte nach dem Ende der DDR 1993 in die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten eingegliedert wurde, erfolge auch in Ravensbrück eine Revision der Geschichte. Die Ausstellungen wurden als »politisch einseitig« und »wissenschaftlich nicht haltbar« geschlossen und durch die Dokumentation »Ravensbrück. Topographie und Geschichte des Frauen-KZ« sowie die biographisch gehaltene Ausstellung »Ravensbrückerinnen« ersetzt.

Die jährlichen Gedenkfeiern sind ideologisch zunehmend von staatlichen Vorgaben wie der Totalitarismusdoktrin geprägt. Antifaschistische Gruppierungen beklagen, daß ehemalige Gefangene vornehmlich als Opfer und nicht als Widerstandskämpferinnen geehrt werden. Anläßlich des 55. Jahrestags der Befreiung von Ravensbrück im Jahr 2000 hielt die Ehrenvorsitzende der Lagergemeinschaft, Gertrud Müller, eine Rede gegen den im Vorjahr erfolgten deutschen Kriegseinsatz in Jugoslawien. Damit machte sie noch einmal deutlich, daß der Schwur der KZ-Überlebenden »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« keine Formel der Vergangenheit ist.