Pressefreiheit nur auf dem Papier

Zur Situation der kurdischen Medien in der Türkei

 Gesetzesänderungen zur Erfüllung der sogenannten Kopenhagener Kriterien der
Europäischen Union haben in der Türkei den Weg für kurdische Medien
freigemacht. Zumindest auf dem Papier. Dass die Türkei noch sehr weit von
der geforderten Pressefreiheit entfernt ist, zeigt sich in den kurdischen
Landesteilen

 "Gündem (Tagesordnung) ist eine demokratische und antiimperialistische
Zeitung für Werktätige und Unterdrückte", erklärt Sibel Güler. Die junge
Frau leitet in Diyarbakir die Redaktion der seit Anfang März in einer
Auflage von 35.000 Exemplaren erscheinenden türkischsprachige Tageszeitung.
Bis 1995 versuchte die Konterguerilla, die prokurdische Tagespresse durch
Morde an Journalisten zu verhindern. Seitdem erzwingen Prozesse gegen
Redakteure und Herausgeber, hohe Geldstrafen und mehrwöchige
Erscheinungsverbote regelmäßige Neugründungen unter anderem Namen. So wurde
die Vorgängerzeitung Yenidem Özgür Gündem nach der Veröffentlichung einer
Presseerklärung des Kurdischen Volkskongresses für zwei Wochen geschlossen.
Ein Verfahren gegen die verantwortlichen Redakteure läuft noch. Ihnen drohen
100 Jahre Gefängnis. Anlässlich des Newroz-Festes am 21. März zeigte Gündem
ein ganzseitiges Porträt von Abdullah Öcalan. Ein Teil der Auflage wurde
sofort von der Polizei beschlagnahmt und dem Blatt droht ein erneuter
Prozess.

Seit dem Ende des Ausnahmezustandes vor zwei Jahren kann Azadiya Welat
(Freies Land) in den kurdischen Landesteilen legal verbreitet werden. Doch
auch Sami Tan, der Herausgeber dieser 1996 gegründeten kurdischsprachigen
Wochenzeitung, berichtet von staatlicher Zensur. Verurteilt wurde die
Zeitung meist wegen Abbildungen von PKK-Politikern. Beim Umzug der Redaktion
von Istanbul nach Diyarbakir beschlagnahmte die Polizei im vergangenen Jahr
das Archiv. Auch wegen der darin befindlichen Bilder läuft noch eine Klage.

Als links-demokratisch definiert Direktor Cemal Dogan die Linie des Radio-
und Fernsehsenders Gün TV. So kommen bei Gün TV, das in Diyarbakir und zwei
Nachbarprovinzen zu empfangen ist, vor allem Politiker der im staatlichen
Fernsehen ignorierten prokurdische Demokratischen Volkspartei DEHAP zu Wort.
Da der Gouverneur von Diyarbakir sich an der Berichterstattung über
Antikriegsproteste störte, musste Gün TV im vergangen Jahr für einen Monat
den Sendebetrieb einstellen,

Vor jeder Ausstrahlung kurdischer Musikvideos müssen die Redakteure die vom
Polizeipräsidium erstellte Listen mit verbotenen Liedern durcharbeiten.
Schon mehrfach wurde der Sender zu Geldstrafen verurteilt. Das Radio wurde
für ein halbes Jahr gesperrt, weil das Lied Xalo des bekannten kurdischen
Sängers Sivan Perwer gespielt wurde. Die Ehre der Soldaten würde durch den
Text des alten Volksliedes verletzt.

Trotz der Gesetzesänderungen darf nicht länger als 45 Minuten am Tag oder
vier Stunden pro Woche im Fernsehen beziehungsweise fünf Stunden pro Woche
im Radio auf kurdisch gesendet werden. "Auf den ersten Blick ist das wenig",
meint Dogan. "Doch im Hinblick auf 80 Jahre Verleugnung der kurdischen
Sprache  in der Türkischen Republik ein Fortschritt."

Bis jetzt dürfen nur landesweite Sender kurdische Programme ausstrahlen.
Doch Sendeanstalten wie TRT haben kein Interesse daran. Dogan hat trotzdem
für seinen Regionalsender Gün einen Antrag gestellt. Jetzt soll er
Statistiken vorlegen, die beweisen, dass in Diyarbakir überhaupt Kurden
leben.

Viele kurdische Familien selbst in entlegenen Dörfern besitzen
Digital-Empfänger, um die Satellitenprogramme Roj TV und Mesopotamia-TV zu
empfangen. Das aus einem Brüsseler Studio in türkischer, kurdischer und
arabischer Sprache ausgestrahlte Nachrichtenprogramm von Roj TV ist auch für
die türkische und arabische Demokratiebewegung eine wichtige
Informationsquelle. Dagegen erreicht das in einem Wuppertaler Sendestudio
produzierte Mesopotamia TV mit seinem rein kurdischen Programm außer Kurden
in der Türkei auch Zuschauer im Iran, Irak, Syrien und den GUS-Republiken.
Neben einem reichhaltigen Kulturprogramm und Kindersendungen strahlt
Mesopotamia TV seit Anfang des Jahres auch die einzige kurdischsprachige
politische Talkshow aus. In dem von Haci Erdogan moderierten Programm FOKUS
diskutieren deutsche, türkische und kurdische Gäste kontrovers über aktuelle
Themen wie Globalisierung und Migration und historische Ereignisse wie den
Armeniergenozid von 1916. Ende April wird auch PDS-Chef Lothar Bisky bei
FOKUS zu Gast sein.

Erst im Februar bekam der in Paris zugelassene Fernsehsender Medya TV den
langen Arm der türkischen Regierung zu spüren. Ein französisches Gericht
entzog der "Freiheitsstimme Kurdistans" die Lizenz, da es ein sich um einen
Nachfolgesender des 1999 auf türkischen Druck verbotenen PKK-Sprachrohrs Med
TV handle.

Dass es in der Türkei noch ein weiter Weg zur Pressefreiheit ist, zeigte
sich anlässlich der Kommunalwahlen am 28.März. In Diyarbakir attackierte die
Polizei am Wahlabend Vertreter lokaler Fernsehsender, die über
Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung berichteten. Mehrere Journalisten
wurden durch Knüppelschläge verletzt und ihre Kameras zerstört. Und in der
Stadt Van wurden zwei Lokalsender geschlossen, weil sie über den Fund von
verbrannten Stimmzetteln für die Linksparteien auf einem Müllhaufen
berichtet hatten.

Auch in der Westtürkei hat es die linke Presse schwer. Bei einer
Antiterroroperation gegen die Stadtguerilla DHKP-C wurde am 1. April auch
das Istanbuler Büro von Ekmek ve Adalet (Brot und Gerechtigkeit) von der
Polizei gestürmt und mehrere Mitarbeiter der legal erscheinenden
kommunistischen Zeitung inhaftiert.

Nikolaus Brauns, Anfang April 04