Neues Deutschland - Sozialistische Tageszeitung •20.03.2008 Politisches Buch

Internationaler Druck ist nötig

Die Kriege und Stimmen des Widerstandes im Nahen und Mittleren Osten

Von Heinz-Dieter Winter

Am 20. März 2003 begannen die USA mit Luftangriffen auf Bagdad ihren völkerrechtwidrigen Krieg gegen Irak. Fünf Jahre danach ist die Lage im Nahen und Mittleren Osten brisant wie nie zuvor. Die Haltung zum gewaltsamen Widerstand gegen die Besetzung Iraks und Afghanistans durch die USA und ihre Verbündeten, gegen die israelische Okkupation in Palästina und Libanon sowie das Verhältnis zu islamistischen politischen Kräften werden in der europäischen Linken kontrovers diskutiert. Dies macht auch die hier zu besprechende Publikation deutlich. Neben aus linker Sicht urteilenden Experten kommen auch Autoren zu Worte, die selbst in Irak, Afghanistan, Palästina oder Libanon Krieg und Besatzung erlebt haben und auf diese oder andere Weise am Widerstand teilnehmen. Jenen vor allem wollten Nikolaus Brauns und Dimitri Tsalos, Herausgeber dieses Bandes, die Möglichkeit gegeben, ihre politischen Vorstellungen der europäischen Öffentlichkeit kundzutun – auch wenn diese in vielen Punkten, so in ihren Kampfmethoden, politischen Konzepten, rückschrittlichen religionsbasierten Moralauffassungen oder engstirnigen Nationalismen, zu kritisieren sind. Das ist gut so, weil Authentisches über den Widerstand in den Medien dieses Landes kaum zu erfahren ist. Vertreten werden hier sehr konträre Positionen. So wird die Rolle Irans teils als »Kollaborateur der USA«, teils als »Zentrum antiimperialistischen Widerstandes« beurteilt.

Der Mangel an allgemein zugänglichen programmatischen Stellungnahmen mache eine politische Einschätzung des Widerstandes in Irak nicht einfach, urteilt Joachim Guilliard. Erstaunlich, was er trotzdem über jenen, der bereits zu einem »regelrechten Volksaufstand« geworden sei, ermitteln konnte. Den Widerstand in Irak als nichtreligiös, sondern als »eher säkular dominiert« einzuschätzen, wie das die Herausgeber tun, lässt die Analyse von Guilliard jedoch nicht zu. Samir Amin sieht im Fehlen einer vereinten irakischen Widerstandsfront einen »entscheidenden Nachteil, da Zwietracht verstärkt und Opportunisten ermutigt werden, und Verwirrung über die Ziele der Befreiung herrscht«.

Die Publikation wendet sich dagegen, den bewaffneten Kampf gegen Okkupanten, sei es nun in Irak, Afghanistan oder in Palästina und Libanon, generell mit Terrorismus gleichzusetzen und zu verteufeln. Die Herausgeber halten Widerstand – auch den bewaffneten – in Afghanistan und Irak, gegen die zionistische Besatzung in Palästina und gegen die Aggression auf den Libanon für legitim. Die völkerrechtliche Legitimität ergibt sich aus UNO-Resolutionen, insbesondere jenen zum Kampf der kolonial unterdrückten Völker. Diese fordern allerdings auch von Widerstandsbewegungen Achtung völkerrechtlicher und menschenrechtlicher Normen; und die Zivilbevölkerung darf nicht Opfer bewaffneter Aktionen werden. Der Rechtsanwalt Hans-Jürgen Schneider verweist darauf eindringlich in seiner Argumentation gegen das Einreiseverbot des irakischen Oppositionspolitikers Kalemji.

Die Legitimität des bewaffneten Widerstandes gegen Okkupation zu betonen und die mangelnde internationale Solidarität zu bedauern, wie Klaus von Raussendorff das tut, ist das Eine. Andererseits ist auch die Frage berechtigt, ob der bewaffnete Kampf in jedem Falle der Befreiung der von Krieg und Okkupation betroffenen Völker dienlich ist oder ob er nicht gerade jenen Neokonservativen zupasskommt, für die der Bürgerkrieg in Irak, wie Guilliard feststellt, »durchaus eine Option wäre«. Für die Rüstungskonzerne bedeutet ein nicht zu Ende gehender Krieg gesicherten Absatz auf Jahrzehnte hinaus, konstatiert Knut Mellenthin. Es wäre also gut gewesen, wenn auch Vertreter des zivilen nichtgewaltsamen Widerstandes in dieser Publikation zu Worte gekommen wären. Auf deren bedeutende Rolle in Irak weist immerhin Guilliard hin.

Angesichts einer immer »rabiateren Islamhetze« in Europa warnt Eberhard Schulz in Anlehnung an Thomas Mann, dass der Antiislamismus auf dem Wege sei, zur »Grundtorheit unseres Jahrhunderts« zu werden. Bedauerlicherweise seien auch Linke vor dem Gift der Islamophobie nicht gefeit, meinen die Herausgeber. Mit »islamfeindlicher Propaganda ließen sich vorzüglich imperiale Krieg kaschieren« und Demokratieabbau in den USA und EU-Ländern betreiben. Der Westen, der Teile der islamischen Welt militärisch besetzt habe, sehe heute im politischen Islam seinen Hauptgegner, urteilt Willi Langthaler. Angesichts der bei vielen islamistischen Strömungen rückwärtsgewandten Gesellschaftsmodelle, einer oft undifferenzierten antiwestlichen Einstellung, die sich auch gegen säkulare Linkskräfte richtet, mag man jedoch seiner Einschätzung nicht folgen, mit dem Eintreten von islamistischen Bewegungen für mehr soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung sei bereits »der Keim einer globalen antiimperialistischen Front« gelegt. Samir Amin hält diese Kräfte nicht für einen linken Zugang akzeptabel.

Wenn islamistische Bewegungen Möglichkeiten zur legalen Betätigung erhalten, können sie sich von ursprünglichen Forderungen nach einem »islamischen Staat« hin zur Akzeptanz demokratischer Staatsstrukturen transformieren. Ali Fayyad zeigt das am Beispiel der libanesischen Hizbollah. Sein Beitrag verdeutlicht, dass »die islamistischen Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten mit dem von George Bush gemalten Bild überhaupt nichts gemein« haben.

Angesichts extrem unterschiedlicher Gesellschaftsauffassungen und stark verwurzelter antiwestlicher Positionen der meisten islamistischen Bewegungen und auch deren Ablehnung linker politischer Positionen wäre ein »Bündnis des islamisch-religiösen Widerstandes mit der säkularen Linken gegen Imperialismus und Zionismus«, für das die Herausgeber eintreten, wohl keine reale politische Option. Wichtig aber ist zweifellos für linke Politik ein von gegenseitiger Toleranz getragener Dialog mit islamistischen Kräften, der auch die Unterschiedlichkeit von Gesellschafts- und Kulturauffassungen akzeptiert, sich von gemeinsamen völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Normen leiten lässt und dem Ziel dient, dem immer stärker werden Konflikt zwischen der westliche Welt und wichtigen politischen Kräften der islamischen Welt entgegenzuwirken. Was in diesem Buch trotz unterschiedlichster Auffassungen alle Autoren eint, ist die einhellige Ablehnung der als »Krieg gegen den Terror« deklarierten Politik der USA und der sie unterstützenden Staaten, einschließlich der Bundesrepublik, die von den Völkern im Nahen und Mittleren Osten als Fortsetzung der Kolonialpolitik und westlichen Dominanzstrebens empfunden wird und in der Tat ihr Selbstbestimmungsrecht verletzt, unerträgliches Elend und Leid erzeugt und den Weltfrieden bedroht.

Im Buch wird der philippinische Träger des alternativen Friedensnobelpreises Walden Bello zitiert. Die Widerstandbewegungen brauchen »internationalen Druck für den Rückzug einer unrechtmäßigen Besatzungsmacht, damit interne Kräfte den Raum bekommen, eine wirklich nationale Regierung formen zu können«.

Nikolaus Brauns/Dimitri Tsalos (Hg.): Naher und Mittlerer Osten. Krieg – Besatzung – Widerstand. Pahl-Rugenstein, Bonn. 209 S.,br., 16,90 EUR.