Junge Welt 09.02.2005 Ausland

 

»Mehr Sicherheit durch Investitionen«  

 

Nach jahrelangem internationalen Embargo wird Libyen zunehmend als Ordnungsfaktor an EU-Außengrenze interessant  

 

Autoritäre Regimes sind gerngesehene Partner der deutschen Wirtschaft, denn sie sorgen mit harter Hand für die nötige Investitionssicherheit. Als Musterland im Sinne des Konferenzmottos »Mehr Sicherheit durch Investitionen« kann Libyen gelten. Lange Jahre wurde der nordafrikanische Staat wegen seiner Unterstützung antiimperialistischer Aktivitäten als »Schurkenstaat« mit internationalen Embargos belegt. Seit der Hinwendung von Staatschef Oberst Muammar al Ghaddafi zum Westen und der Zahlung von Entschädigungen für Gewaltopfer präsentiert sich das Land jetzt als Investitionsparadies für ausländisches Kapital und Ordnungshüter an der EU-Außengrenze. Im Oktober 2004 beschloß der EU-Ministerrat folglich die Beendigung der seit 1999 bereits gelockerten Sanktionen gegen Libyen inklusive des seit 18 Jahren bestehenden Waffenembargos.

Libyen ist der größte nichteuropäische Rohöl-Lieferant Deutschlands und stand 2003 nach Rußland, Norwegen und Großbritannien mit 8,9 Millionen Tonnen – daß sind elf Prozent der deutschen Ölimporte – an vierter Stelle der Lieferanten. Im ersten Halbjahr 2004 überrundete Libyen England sogar.

Deutschland ist Libyens zweitgrößter Handelspartner nach der ehemaligen Kolonialmacht Italien. Bereits im Jahr 2000 beteiligten sich deutsche Wirtschaftsdelegationen an der Messe in Tripolis. Heute ist Libyen der nordafrikanische Standort mit den meisten deutschen Investitionen. Nachdem Gaddafi bis zum Jahr 2008 die Privatisierung von 360 Staatsunternehmen, darunter Stahl- und Zementwerke sowie Raffinerien, angekündigt hat, führte die BRD-Regierung wieder bundeseigene Hermes-Bürgschaften für Investitionen in Libyen ein.

Ein deutliches Signal für den Ausbau der deutschen Investitionen war der Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 15. Oktober 2004 in Libyen. Für Siemens sprang dabei ein 180-Millionen-Euro-Auftrag zur technischen Modernisierung der Öl- und Erdgasförderung heraus. Wie der Vorstandsvorsitzende der Kasseler Wintershall AG im Anschluß an die Libyen-Reise erklärte, will das Energieunternehmen »im großen Stil in Libyen Gas explorieren und fördern«, um damit Deutschland unabhängiger vom russischen Erdgas zu machen. Wintershall kündigte nach dem Vorbild der Kooperation mit dem russischen Monopolisten Gasprom eine Partnerschaft mit der libyschen National Oil Company an, die der 100prozentigen BASF-Tochterfirma ein Monopol beim Verkauf libyschen Erdgases in Europa sichern soll. Wintershall gehört mit Investitionen von 1,2 Milliarden Dollar bereits heute zu den führenden ausländischen Unternehmen in Libyen.

Daß wirtschaftliche Investitionen keineswegs Menschenrechte in den autoritär regierten nordafrikanischen Staaten vorantreiben sollen, zeigt die Einbindung dieser Staaten in die Emigrantenabwehr der »Festung Europa«. Seit einigen Jahren betreiben vor allem Italien und die BRD die Aufrüstung der nordafrikanischen Staaten gegen afrikanische Flüchtlinge durch die Lieferung von Überwachungselektronik, Schnellbooten und Geländefahrzeugen. Der ultrakonservative italienische Europa-Politiker Rocco Buttiglione nannte die von Bundesinnenminister Otto Schily vorgeschlagenen Auffanglager für Flüchtlinge in Libyen in gewohnter Deutlichkeit bei einer Anhörung vor dem EU-Parlament »Konzentrationslager«.

 

Nick Brauns