Eine Frau im Widerstand
Die
Erinnerungen der libanesischen Freiheitskämpferin Suha Becharas sind auf
deutsch erschienen
Aus nächster Nähe wurde der Chef der
Südlibanesischen Armee SLA Antoine Lahad im Sommer 1988 von zwei vergifteten
Kugeln niedergestreckt. Die Attentätern war die erst 21-jährige Libanesin Suha
Bechara. Mit dem Anschlag, den Lahad schwerverletzt überlebte, wollte der
Libanesische Widerstand die Verwundbarkeit der israelischen Besatzungstruppen
und ihrer libanesischen Kollaborateure demonstrieren. In der internationalen
Presse galt Suha Bechara bald als libanesische Pasionaria oder Jeanne d`Arc.
Nach einer französischen und einer arabischen Ausgabe sind ihre Erinnerungen
unter dem Titel „Zehn Jahre meines Lebens für die Freiheit meines Landes – Eine
Libanesin im Widerstand“ nun auch auf deutsch erschienen. Das für viele
unvorstellbare war mittlerweile eingetreten: am 22.Mai 2000 hatten sich die
zionistischen Truppen aus dem seit 1978 besetzt gehaltenen Südlibanon
zurückgezogen. Die Kollaborateure aus der ehemals unter israelischem Oberbefehl
stehenden Südlibanesischen Armee befanden sich auf einer wilden Flucht. Einige
der Kriegsverbrecher kamen wohl auch aufgrund eines Angebots des deutschen
Außenministers Fischer nach Deutschland. Und das es sich um Kriegsverbrecher
handelte, belegen die Erinnerungen Suha Bechara sehr deutlich. Zehn Jahre lang
wurde sie nach dem Anschlag auf Lahad in der „Hölle von Khiam“ von den Schergen
der SLA gequält. Khiam, eine ehemalige Militärkaserne im besetzten Südlibanon,
war zu einem Konzentrationslager ausgebaut worden. Ohne Gerichtverfahren wurden
die Angehörigen des südlibanesischen Widerstands, aber auch Dorfbewohner, deren
Kollaboration so erpresst werden sollte, in Khiam inhaftiert. Da sich das Lager
quasi im Niemandsland befand, hatten das Rote Kreuz und andere humanitäre
Organisationen dort jahrelang ebenso wenig Zutritt, wie die Rechtsanwälte oder
Verwandte der Inhaftierten. Becharas Folterer waren Libanesen. Aber die
Verantwortung für das Lager trug die Israelische Regierung. Erst 1998 kommt
Bechara, die jahrelang in einer nur 80 mal 1,80 Meter großen Zelle in
Einzelhaft gehalten wurde, aufgrund internationalen Drucks frei. Neben mehreren
Bechara-Komitees in verschiedenen Ländern hatten sich insbesondere auch Jaques
Chirac und Danielle Mitterrand, sowie die israelische Rechtsanwältin Lea Zemel
für sie eingesetzt. Heute studiert Bechara in Paris Jura und Hebräisch, um sich
besser für die noch in Israel inhaftierten Freiheitskämpfer einsetzten zu
können.
In ihrem Buch schildert Suha Bechara ihren Weg zum
Widerstand, die Vorbereitung und Durchführung der „Operation“ und ihre Haftzeit
in Khiam. Heute wird der libanesische Widerstand mit der Organisation
gleichgesetzt, der es gelang, die Zionisten aus dem Libanon zu vertreiben:
Hisbollah – die Partei Gottes. Als Bechara sich dem Widerstand anschloss,
begann erst der Aufstieg dieser vom Iran unterstützten Organisation. Die
Führung des Widerstandes lag damals noch bei den Linksparteien und der
schiitischen Amal-Bewegung. Suha Bechara kommt aus einer christlichen Familie.
Ihre Geburt fiel auf den Tag der Niederlage der arabischen Welt – den 15. Juni
1967, als die ägyptische, jordanische und syrische Armee von Israel vernichtend
geschlagen und weite Teile arabischen Gebiets besetzt wurden. Später stellt
sich Bechara die Frage, ob der Tag ihrer Geburt ihren Lebensweg nicht doch
vorgezeichnet hat.
Ihr Vater und Onkel gehörten der Kommunistischen Partei an. Auch Bechara schließt sich als 15 jährige einem der Partei nahestehenden Jugendverband an. Marx und Lenin hat sie nie gelesen und mit Klassenkampf kann sie wenig anfangen. Aber ihr gefällt das republikanische Ideal der Kommunisten. Als einzige libanesische Partei kämpfen die Kommunisten für einen demokratischen Einheitsstaat jenseits der noch von der französischen Kolonialmacht ererbten Zerrissenheit in Religions-, Volks-, und Parteigruppen. In Beirut, wo sie als junges Mädchen bei der Versorgung Verwundeter hilft, erlebt sie den libanesischen Bürgerkrieg aus nächster Nähe. „Frieden für Galiläa“ nennt Ariel Scharon die Operation, in deren Rahmen die israelische Armee 1982 bis nach Beirut eindringt und die Massaker von Schabra und Schattila deckt. Nach ihrer Flucht aus der belagerten Hauptstadt beschließt die bisherige Pazifistin Bechara, sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen. Nicht religiöser Fanatismus, sondern ihr Patriotismus ist für diesen Entschluss ausschlaggebend. Tatsächlich lehnt Bechara den nicht nur bei den religiösen Parteien gepflegten Märtyrerkult ab. Als sie erfährt, dass im Falle ihres Todes bei der Aktion gegen Lahad schon der Name „Blume des Südens“ für sie ausgesucht wurde, ist sie empört. Vor der Aktion verbrennt sie alle Photos von sich, um einem Märtyrerkult keine Nahrung zu geben. Wenn auch kaum Aussichten auf eine Flucht nach dem Attentat bestanden, so handelte es sich nicht um einen Selbstmordanschlag, wie er heute von religiösen Kräften innerhalb der Intifada bevorzugt wird. Selbst einen Schuss von hinten auf Lahane lehnte Bechara ab. Bei ihrer Aktion handelt es sich im Grunde genommen um einen klassischen Tyrannenmord. Ein informatives Nachwort von Angelika Neuwirth, Dozentin für Semitistik und Arabistik an der FU Berlin, ordnet Becharas Lebensgeschichte nicht nur in die Geschichte des Libanons ein, sondern schildert auch anschaulich die Hintergründe des nahöstlichen Märtyrerkultes und der Fedajin.
Becharas Erinnerungen sollten – auch, wenn die
Erzählerin eine Libanesin und keine Palästinenserin ist – zum Verständnis der
Akteure der heutigen Intifada und ihrer Motive unbedingt gelesen werden.
Angesichts der Dominanz von Organisationen wie der libanesischen Hisbollah und
der palästinensischen Hamas und Dschihad in den Medien kann dieses Buch helfen,
die Erinnerung an eine sozialistische Widerstandstradition im Nahen Osten wach
zu halten.
Nick Brauns
Suha Bechara: Zehn Jahre meines Lebens für die
Freiheit meines Landes – Eine Libanesin im Widerstand. Heinrich Hugendubel
Verlag Kreuzlingen / München 2001; 206 S., DM 36.95
ISBN: 3-7205-2239-3