Junge Welt 02.02.2013
/ Geschichte / Seite 15
Sturz des Umstürzlers
Vor 50 Jahren wurde Abdel Al-Karim Kassem, der Gründer
der Republik Irak hingerichtet. US-Geheimdienst forcierte Staatsstreich
Von Nick
Brauns
»Ich bin der Irak«, hatte der Sohn
eines sunnitischen Tischlers und einer kurdischen Schiitin von sich selber
gesagt. Vor 50 Jahren wurde General Abd Al-Karim
Kassem, der den Irak von der Monarchie zur Republik geführt hatte,
hingerichtet.
Am 14. Juli 1958 gehörte Kassem zu den Anführern einer Militärrevolte gegen
König Faisal II. Der unter dem König mit der früheren Kolonialmacht
Großbritannien gegen die Ausweitung des sowjetischen Einflusses geschlossene Bagdadpakt sowie die gegen die arabische Nationalbewegung
gerichtete »Arabische Föderation« mit dem Königreich Jordanien stießen auf den
Widerstand der arabisch-nationalistischen und kommunistischen Zellen in der
Armee. Auslöser des von der Bevölkerung bejubelten Putsches war der geplante
Einsatz irakischer Soldaten zur Niederschlagung einer antimonarchistischen
Revolte in Jordanien. Infolge der militärischen Erhebung unter Kassem wurde die
Königsfamilie von Soldaten erschossen und der verhaßte
Premier Nuri as-Said von der Menge gelyncht. Über
Rundfunk wurden das Ende der Monarchie und die Machtübernahme eines Revolutionären
Kommandorates verkündet, dem entsprechend der ethnischen Zusammensetzung des
Landes ein sunnitischer und ein schiitischer Araber sowie ein Kurde angehörten.
Kassem setzte nach seiner Wahl zum Premierminister der neu gegründeten Republik
Irak auf soziale Reformen, die ihm eine breite Massenunterstützung sicherten.
Die Mieten und der Brotpreis wurden gesenkt, Arbeitszeiten gesetzlich geregelt,
eine Sozialversicherungspflicht eingeführt, das Bildungsbudget deutlich
angehoben und die rechtliche Gleichstellung der Frau verkündet. Eine Landreform
wurde eingeleitet, die eine neue Schicht begüterter Mittelbauern schuf und die
Macht der Großgrundbesitzer beschränkte. Nachdem 1960 in Bagdad die
Organisation Erdölexportierender Länder OPEC gegründet worden war, verkündete
Kassem im folgenden Jahr mit dem Gesetz Nr. 80 die Nationalisierung der
Ölquellen und begrenzte die Konzessionen der internationalen Iraq Petroleum Company (IPC).
Gegen die Baath-Partei …
Nach der Aufkündigung des Bagdad-Paktes verließen am 30. Mai 1959 die letzten
britischen Soldaten den Irak. Kassem, der eine irakisch-nationalistische
Politik vertrat, lehnte allerdings die von den panarabischen Nationalisten
geforderte Verschmelzung seines Landes mit der Vereinigten Arabischen Republik
ab, die unter Führung Gamal Abdel Nassers aus Ägypten
und Syrien gebildet worden war. Diese Weigerung ließ ihn in zunehmenden
Widerspruch zu den Anhängern Nassers unter den Freien
Offizieren und der arabisch-nationalistischen Baath-Partei geraten. Das
Zerwürfnis ging so weit, daß Kassem seinen ehemaligen
Adjutanten, den Nasseristen Abdel Salam Aref, als
Oberkommandierenden der Streitkräfte absetzen und inhaftieren ließ.
Angesichts der Bedrohung seiner Machtbasis durch die arabischen Nationalisten
suchte Kassem die Unterstützung der starken Irakischen Kommunistischen Partei
(IKP), die 1958/59 die Straßen Bagdads beherrschte und auch im Südirak und
Teilen Kurdistans über großen Einfluß verfügte. Als
im März 1959 in Mosul eine Militärrevolte der Panarabisten ausbrach, schlugen loyale
Armeeinheiten und kommunistische Milizen diese gemeinsam nieder. Durch den Sieg
ermutigt forderten Hunderttausende Demonstranten am 1. Mai in Bagdad,
»Kommunisten in die Regierung« aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt hätte die IKP
selbst nach Einschätzung bürgerlicher Beobachter die Macht erringen können.
Doch darauf waren die Kommunisten, die im Irak lediglich eine bürgerliche, aber
keine sozialistische Revolution auf der Tagesordnung sahen, nicht vorbereitet.
Zudem drängte ein Emissär Nikita Chruschtschows auf Mäßigung, da Moskau eine
Belastung der Beziehungen zur arabischen Welt in diesem Fallbefürchtete. So
gaben sich die Kommunisten mit zwei unbedeutenden Ministerämtern zufrieden,
während Kassem bereits daran arbeitete, den Spielraum des ihm nun zu mächtig
werdenden Bündnispartners wieder einzuschränken. Als offizieller Anlaß für seine Distanzierung von den Kommunisten und die
Einleitung einer Repressionswelle gegen deren Volksmilizen dienten die der IKP
angelasteten Übergriffe armer Kurden auf begüterte Turkmenen in Kirkuk, bei
denen im Juli 1959 Dutzende Menschen getötet wurden.
In der Baath-Partei hatte sich nach der niedergeschlagenen Revolte von Mosul
die Einschätzung durchgesetzt, daß nur die Ermordung Kassems die weitere Ausbreitung der Kommunisten verhindern
und einer panarabischen Politik zum Durchbruch verhelfen könne. Ein Anschlag am
7. Oktober 1959 mißlang allerdings, da einer der
Attentäter, der 22jährige Baath-Aktivist Saddam Hussein aus Tikrit,
zu früh das Feuer eröffnete und Kassem lediglich verletzte.
… und die Kommunisten
Der geplante Putsch wurde von den Kommunisten vereitelt, die mit Hilfe ihrer
Anhänger in der Armee das Verteidigungsministerium besetzten. Doch Kassem
dankte es den Kommunisten nicht, sondern ließ, erschrocken über den weiterhin
bestehenden Einfluß der IKP, die Armee von
kommunistischen Offizieren »säubern«. Als im folgenden Jahr Parteien
registriert wurden, bekam lediglich eine unbedeutende namensgleiche Spalter-KP die Zulassung, während die IKP ihre Zeitung
schließen mußte und einige ihrer leitenden
Funktionäre verhaftet wurden.
Während Kassems »bonapartistische«
Politik so zu einer weiteren Erosion seiner innenpolitischen Machtbasis führte,
isolierte er sich auch international. Nasser setzte auf seinen Sturz. Mit Iran
gab es Gebietsstreitigkeiten. Um sich im eigenen Land der Sympathien der
arabischen Nationalisten zu versichern, erhob Kassem 1961 Besitzansprüche auf
das aus der britischen Kolonialverwaltung entlassene Kuwait und zog sich damit
den Unmut der Arabischen Liga zu.
Die Verstaatlichung der Ölquellen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur
Sowjetunion und das Anwachsen der kommunistischen Bewegung ließen die
Alarmglocken in Washington und London schrillen. Gemeinsam mit dem persischen
Geheimdienst SAVAK und dem israelischen Mossad
arbeitete die US-amerikanische CIA nun auf einen Staatsstreich in Bagdad hin.
Um das Land zu destabilisieren, unterstützten die USA und ihre Verbündeten die
kurdische Unabhängigkeitsbewegung. Kassem, der die Kurden als »eines von zwei
Völkern des Irak« bezeichnete, hatte zuvor die Rückkehr des einflußreichen
Stammesführers Mullah Mustafa Barsani aus seinem sowjetischen Exil ermöglicht.
Doch Verhandlungen über eine kurdische Autonomie waren im Sommer 1961
gescheitert. Der daraufhin erneut aufgeflammte Partisanenkrieg von Barsanis Peschmerga-Kriegern zermürbte die Armee zusehends,
so daß Kassem nun auch noch die Unterstützung des
Offizierskorps verlor.
Diese Isolation ausnutzend putschte die Baath-Partei im Bündnis mit Militärs um
Oberst Abdel Salam Aref und unterstützt von der CIA am 8. Februar 1963. Kassems Weigerung, den spontan gegen die Konterrevolution
demonstrierenden Massen in Bagdad Waffen zu geben, besiegelte sein Schicksal.
Er wurde gefangenengenommen und nach einem Schnellprozeß
am 9. Februar hingerichtet. Nun begann ein blutiger Terror von Todesschwadronen
der Baath-Partei gegen die Kommunisten, dem Tausende zum Opfer fielen. Die
bereits im Herbst von Abdel Salam Aref wieder aus der Regierung verdrängte
Baath-Partei gelangte erst mit einem erneuten Putsch 1968 an die Macht zurück.
Ihr zukünftiger starker Mann Saddam Hussein sollte 2006 im von US-Truppen
besetzten Irak das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger Kassem erleiden.
Quelle: Putschunterstützung durch die CIA
Am 27.
September 1963 veröffentlichte der enge Vertraute Nassers,
Muhammad Hassanein Heikal,
in der von ihm in Kairo herausgegebenen Tageszeitung Al-Ahram
ein im Pariser Hotel Crillon geführtes Interview mit
dem jordanischen König Hussein. Darin erklärt der jordanische Herrscher:
»Erlauben Sie mir, Ihnen mitzuteilen, daß ich mit
Sicherheit weiß: Was am 8. Februar [1963] im Irak geschah, hatte die
Unterstützung des amerikanischen Geheimdienstes. Einige von jenen, die jetzt in
Bagdad herrschen, wissen nichts davon, aber ich kenne die Wahrheit. Zwischen
Baath-Partei und amerikanischem Geheimdienst fanden zahlreiche Treffen statt,
die wichtigsten in Kuwait. Wissen Sie, daß den
Männern, die den Putsch inszenierten, am 8. Februar per geheimem Funkspruch die
Namen und Adressen der Kommunisten geliefert wurden, damit sie verhaftet und
hingerichtet werden konnten?«