junge Welt vom 26.09.2005 |
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Feuilleton |
Arger Erkenntnisweg
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Tödliche Unterschätzung: Klaus Kinner und Elke Reuter untersuchen die
Politik der KPD gegen Faschismus und Krieg
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Nick Brauns |
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Mit Ernst Bloch fragen Klaus Kinner und Elke Reuter: »Was
bleibt, was ist unabgegolten vom Kampf der deutschen Kommunisten gegen den
Faschismus?« Die Antworten auf diese Frage bleiben die Haushistoriker der
Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrer als zweitem Band der Reihe
»Der deutsche Kommunismus – Selbstverständnis und Realität« erschienenen
Untersuchung »Gegen Faschismus und Krieg (1933–1939)« weitgehend schuldig.
»Es ist hinter die Selbstlegitimierung der Politbürokratie der SED zu
schauen, für die ... die bruchlose Kontinuität des antifaschistischen Kampfes
der vom Thälmannschen Zentralkomitee geführten Partei, auch über den 30.
Januar 1933 hinaus, zu den Insignien der Herrschaftslegitimation gehörte«,
benennen Kinner/Reuter ihre Absicht. Widerspruchsvoll Tatsächlich bleiben die Autoren der Methodik der »Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung« verhaftet – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Diente
dieser von Walter Ulbricht redigierte Kanon der SED-Geschichtsschreibung als
Rechtfertigung für die angebliche Unfehlbarkeit der KPD-Führung, so geht es
Kinner/Reuter um die Entlarvung der unrealistischen und falschen KPD-Politik.
Ebenso wie das Autorenkollektiv um Ulbricht machen sie dabei ihre
Geschichtsdeutung nicht an der tatsächlichen Politik des antifaschistischen
Widerstands in Deutschland fest, sondern interpretieren das im Ausland
verfaßte Material führender kommunistischer Funktionäre. Zu Recht weisen die Autoren im Vorwort darauf hin, daß »der stalinisierte,
von Moskau abhängige Apparat ... nicht die Partei« war. Doch wie wurden die
in Paris oder Moskau verfaßten Resolutionen der KPD von Kommunisten in
Deutschland aufgenommen? Wie wurden sie umgesetzt? Darüber findet sich fast
nichts in dem Buch. Lieber zitieren Kinner/Reuter seitenlang aus den
Tagebüchern des Komintern-Vorsitzenden Georgi Dimitroff. Geschildert wird der arge Weg der Erkenntnis, den die KPD-Führung zwischen
1933 und 1935 zurücklegen mußte. Vom Kampf gegen den »Sozialfaschismus«, bei
gleichzeitiger tödlicher Unterschätzung des Faschismus, über die Machtkämpfe
der »echten und falschen Teddy-Männer« im KPD-Politbüro um eine
nichtsektiererische Herangehensweise an die Sozialdemokratie bis zur 1935
beschlossenen Volksfronttaktik mit dem Ziel der Wiedergewinnung bürgerlich-demokratischer
Rechte statt der sofortigen Errichtung eines Sowjetdeutschland reicht der
widerspruchsvolle Prozeß. Zu Recht räumen Kinner/Reuter mit der Legende auf, daß Ernst Thälmann
während seiner Rede auf der illegalen Reichsfunktionärskonferenz am 7. Februar
1933 im Sporthaus Ziegenhals bereits eine generelle Wendung der KPD-Politik
eingeleitet hätte. Zwar erklärte Thälmann, daß der Sturz der Hitler-Regierung
nicht »unter allen Umständen zu 100 Prozent (...) mit dem Sieg der
proletarischen Revolution direkt verbunden« sei. Doch gleichzeitig hielt der
Parteiführer in völliger Verkennung des Naziterrors, der Passivität einer
geschlagenen Arbeiterklasse und des aufgrund der hohen Zahl arbeitsloser
Mitglieder geschwundenen Einflusses der KPD an der »Entfaltung aller Formen
des Massenwiderstandes und des Massenkampfes gegen die faschistische
Diktatur« fest und sah eine baldige revolutionäre Krise in Deutschland
heraufziehen. Einheitsfront Deutlich wird, daß auch realistisch denkende Kominternpolitiker wie der
kommissarische KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck und der von Stalin nach seinem
Sieg im Reichstagsbrandprozeß zum Komintern-Chef ernannte Georgi Dimitroff
ihre vorsichtige Hinwendung zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie immer
unter dem Damoklesschwert der bis zum VII. Weltkongreß 1935 gültigen
Generallinie formulieren mußten. Schließlich hatte das Präsidium der
Kommunistischen Internationale noch am 1. April 1933 die »Erkenntnis« des
XII. EKKI-Plenums vom Herbst 1932 ausdrücklich bekräftigt: »Die Kommunisten
hatten recht, als sie die Sozialdemokratie als Sozialfaschisten
bezeichneten.« Ausführlich gehen die Autoren auf die Versuche der KPD zur Schaffung einer
deutschen Volksfrontorganisation im Pariser Exil ein. Ihr Scheitern machen
sie an »der Realität Stalinscher Verfolgungs- und Terrorpolitik und in der
unkritischen Zustimmung und Teilnahme durch die KPD« sowie dem tiefen
Widerspruch dieser Praxis zum Ziel einer demokratischen Republik fest. Die
Todesschüsse gegen die 16 Angeklagten im Moskauer Schauprozeß in der Nacht
zum 25. August 1936 »trafen auch die Volksfrontpolitik«. Dennoch sei die Idee
eines Zusammenschlusses verschiedener politischer Kräfte zur Verhinderung
oder zum Sturz eines faschistischen Regimes auf der Basis eines
bürgerlich-demokratischen Programms beflügelnd gewesen und habe während und
nach dem Krieg wiederbelebt werden können. Der KPD-Opposition und linkssozialistischen Organisationen unterstellen
Kinner/Reuter dagegen eine illusionäre Haltung, da sie weiterhin am
sozialistischen Endziel festhielten. Tatsächlich sahen die oppositionellen
Kommunisten die Wiederherstellung der bürgerlichen Republik nicht als
Alternative zum Faschismus. Doch befürworteten sie den Kampf um demokratische
Teilziele als Mobilisierungslosungen zum revolutionären Sturz des Faschismus.
Die antikapitalistische Massenstimmung in Deutschland nach der Befreiung vom
Faschismus, die sich selbst im Ahlener Programm der CDU von 1947
widerspiegelte, zeigt, daß die Zielvorstellungen der oppositionellen
Kommunisten durchaus nicht illusorischer waren als die Hoffnungen der KPD,
mit Teilen des deutschen Bürgertums den Faschismus zu stürzen. Der Band »Gegen Faschismus und Krieg« ist zwar eine brauchbare
Zusammenstellung zur Sichtweise der KPD- und Komintern-Führung auf den
deutschen Faschismus. Doch gegenüber den seit langem vorliegenden
Untersuchungen von Horst Duhnke (1974) und Allan Merson (1985, deutsche
Ausgabe 1999) zum kommunistischen Widerstand in Nazideutschland bieten
Kinner/Reuter wenig Neues. * Klaus Kinner/Elke Reuter: Der deutsche Kommunismus – Selbstverständnis
und Realität, Band 2, Gegen Faschismus und Krieg (1933-1939). Dietz Verlag,
Berlin 2005, 320 Seiten, 19,90 Euro (inklusive CD-Rom mit den Protokollen zum
VII. Weltkongreß der Komintern) |
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