junge Welt 23.05.2006 / Ausland / Seite 7


Warnung vor Ilisu

Über 80 Prozent der betroffenen Bevölkerung lehnen das gigantische Staudammprojekt in der Osttürkei ab. Bundesregierung soll Hermesbürgschaften verweigern

Nick Brauns

Während die Welt auf den gerade fertiggestellten Jangtse-Staudamm in China schaut, steht in der Osttürkei ein weiterer gigantischer Damm vor dem Baubeginn. Der Ilisu-Damm am Oberlauf des Tigris ist Herzstück des Südostanatolien-Projektes (GAP). Bis zum Jahr 2010 sollen elf Dämme und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris errichtet werden.

Die türkische Regierung preist das Bauvorhaben als Modernisierung der armen südostanatolischen Provinzen an. Doch Bürgermeister kurdischer Großstädte, Vertreter lokaler Bürgerinitiativen und Menschenrechtsgruppen fordern auf einer Rundreise durch Österreich, die Schweiz und Deutschland von den beteiligten Baufirmen und Regierungen den Ausstieg aus dem Staudammprojekt. Über 80 Prozent der Bewohner in der am meisten betroffenen Provinz Batman lehnten den Dammbau ab, ergab eine Studie von Projektgegnern. »Mit der Vergabe einer Hermesbürgschaft würde die Bundesregierung mitschuldig an Umweltzerstörung, der Vernichtung von Kulturgütern und der Verelendung großer Bevölkerungsteile«, warnt Heike Drillisch, Sprecherin der Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED.

Ein von der österreichischen Firma VA Tech Hydro geführtes Konsortium soll das 1,2 Milliarden Euro teure Projekt umsetzen. Aus Deutschland ist der Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin AG führend beteiligt, aus der Schweiz der Anlagenbauer Alstrom. »Der Bau von Ilisu unter der Beteiligung von Züblin wird ein großer Exporterfolg für Deutschland«, heißt es auf der Website des Unternehmens. Durch Ilisu würden in Deutschland hochqualifizierte Arbeitsplätze auf Jahre gesichert und Tausende Arbeitsplätze in der Region Südostanatolien geschaffen. »Für einige Menschen in der Region stellen die versprochenen Arbeitsplätze eine große Hoffnung dar«, weiß auch Yurdusev Özsökmenler, die Bürgermeisterin von Diyarbakir-Baglar. »Die Erfahrung mit bereits gebauten Dämmen zeigt jedoch, daß die umgesiedelte Bevölkerung nur selten von den neuen Möglichkeiten profitiert.« Bis zu 55000 Menschen müßten zwangsumgesiedelt werden, wenn ihre Dörfer oder ihr Ackerland in den Fluten des 300 Quadratkilometer großen Stausees untergehen. Während finanzielle Entschädigungen vor allem örtlichen Großgrundbesitzern zugingen, müßte die Masse der Vertriebenen in Elendsvierteln kurdischer Großstädte wie Diyarbakir oder Batman mit einer Arbeitslosenrate von bis zu 80 Prozent dahin vegetieren. »Eine neue Welle von Dammvertriebenen wäre nicht zu verkraften«, warnt Bürgermeisterin Özsökmenler. In den 90er Jahren hatte sich die Einwohnerzahl von Diyarbakir bereits durch Kriegsflüchtlinge verzehnfacht.

Durch den Ilisu-Damm würde die 10000 Jahre alte mesopotamische Stadt Hasankeyf mit dem historischen Erbe von Kurden, Armeniern, Assyrern und anderen an diesem Nebenarm der Seidenstraße lebenden Völkern überflutet. Unrealistisch ist der Plan der türkischen Regierung, einige historische Stätten an einem anderen Ort als archäologisches Disneyland neu zu errichten. »10000 Jahre Geschichte dürfen nicht für 50 Jahre Energiegewinnung geopfert werden«, meint Necattin Pirinccioglu von der Bürgerinitiative zur Rettung Hasankeyfs, in der sich die örtliche Gemeinden und Bürgergruppen zusammengeschlossen haben.

Mit dem Ilisu-Damm könnte die Türkei ihre Anrainerstaaten Syrien und Irak unter Druck setzten. Der Bau des Ilisu-Staudammes müsse unbedingt fertiggestellt sein, bevor die Türkei im Zuge des EU-Beitrittsprozesses an europäisches Recht gebunden werde, drängt der von hohen Militärs dominierte Nationale Sicherheitsrat der Türkei. Da es sich beim Tigris um einen grenzüberschreitenden Fluß handelt, dürfte er nach internationalem Recht nicht ohne Einverständnis der Nachbarstaaten aufgestaut werden.