junge Welt vom 20.05.2005

 

Ausland

Hasankeyf in Gefahr

Türkei hält an Staudammbau im Südosten fest. Massenvertreibungen einkalkuliert

Nick Brauns

 

Trotz internationaler Proteste steht der Bau eines Großstaudamms im kurdischen Südosten der Türkei wieder auf der Tagesordnung. Dies belegt die kürzlich vorgelegte Studie einer Untersuchungskommission unter Leitung der Archäologin Maggie Ronayne von der Nationalen Universität Irland in Galway, die in Zusammenarbeit mit dem in London ansässigen Kurdish Human Rights Project erstellt wurde. Regierungsnahe Stellen wie die Staatliche Wasserkraftbehörde gaben gegenüber der Kommission offen zu, daß der Bau des Ilisu-Damms am Oberlauf des Tigris inzwischen wieder aufgenommen wurde.

Historisches Erbe

Durch den Ilisu-Damm würde die antike obermesopotamische Stadt Hasankeyf fast vollständig überflutet. Teile des historischen Erbes von Kurden, Armeniern, Assyrern und anderen an diesem Nebenarm der Seidenstraße lebenden Völkern würden zerstört. Bedroht von der Überschwemmung sind einzigartige archäologische Monumente wie die Pfeiler einer gewaltigen mittelalterlichen Tigrisbrücke, Moscheen aus dem 15. Jahrhundert und Zehntausende seit Urzeiten bewohnte Höhlenwohnungen. »Das GAP-Entwicklungsprojekt, zu dem diese Dämme gehören, zerstört ein Erbe, das der gesamten Menschheit gehört«, erklärte Maggie Ronayne.

Der Ilisu-Damm ist ein Herzstück des Südostanatolien-Projektes (GAP). Bis zum Jahr 2010 sollen elf Staudämme und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris errichtet werden. Durch den 300 Quadratkilometer großen Ilisu-Stausee würden nach Angaben des Kurdish Human Rights Projects 12000 Anwohner umgesiedelt werden, weitere 60000 Bauern würden ihr Land verlieren und so ebenfalls vertrieben. Ein echter Umsiedlungs- und Entschädigungsplan existiert bis heute nicht, die Bewohner werden über ihre Zukunft im Unklaren gelassen. In Konflikt käme die Türkei durch die Stauung des Tigris 65 Kilometer vor der Grenze auch mit den Nachbarländern Syrien und Irak, denen so das Wasser abgedreht würde.

Anfang Mai betonte der Generalsekretär des einflußreichen Nationalen Sicherheitsrats der Türkei, Yigiit Alpogan, es dürfe keine Verzögerung beim GAP geben, da das Projekt nicht nur die Wirtschaft des Landes, sondern auch die Sicherheit betreffe. Durch die Entwicklung der armen kurdischen Provinzen der Türkei und die Vertreibung von Zehntausenden Bauern soll der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) die Unterstützung entzogen und die Bewegungsfreiheit der Guerilla durch die gewaltigen Stauseen eingeschränkt werden.

Als Erfolg einer europaweit von Menschenrechtsgruppen, Umweltschützern und Archäologen betriebenen Kampagne waren die meisten Teilhaber des Ilisu-Konsortiums im Jahr 2002 abgesprungen und der Dammbau auf Eis gelegt worden. Hasankeyf würde nicht überschwemmt, sondern für den Tourismus ausgebaut werden, versprach der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren einige Gebäude restauriert und archäologische Ausgrabungen vorgenommen. Souvenirhändler stellten sich auf Tourismus ein. Doch prägten das Stadtbild übermäßig viele Uniformierte, und kurz hinter Hasankeyf sichern Panzer die Baustelle für den Staudamm.

Siemens mischt mit

Ilisu soll von einem Konsortium unter Führung des österreichischen Turbinenherstellers VA Tech erbaut werden, der Ende 2004 vom Münchner Elektrokonzern Siemens übernommen wurde. Noch steht eine für den 20. Juli erwartete kartellrechtliche Entscheidung der EU aus. Sollte Siemens seinen Neuerwerb behalten dürfen, wird der Konzern wahrscheinlich bei der Bundesregierung eine Hermes-Bürgschaft für den Staudammbau beantragen. Auch die Hamburger Baufirma Züblin ist nach Informationen der Berliner Zeitung am Bau von Ilisu beteiligt.

 

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Ausdruck erstellt am 20.05.2005 um 10:20:57 Uhr

 

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