junge Welt 09.08.2007 / Feuilleton / Seite 12
Lieder verbinden die kurdische Nation über Staatsgrenzen
hinweg, bringen verfeindete Stämme und Parteien zusammen. Trotz
Verfolgung werden sie millionenfach gespielt in den Radios der
Teehäuser, den Kassettenspielern der Sammeltaxis. Noch als
Handyklingeltöne bewahren sie angesichts von Analphabetismus,
Unterdrückung und Zwangsassimilation die kurdische Sprache,
Kultur und Tradition.
Der neue Film des iranisch-kurdischen
Regisseurs Bahman Ghobadi handelt von der Liebe zur Musik –
über alle politischen, religiösen und geographischen
Schranken hinweg. »Half Moon/Niwemang« ist ein
tragisch-komisches Road Movie durch das wilde Kurdistan.
Wie
Ghobadis preisgekrönte Filme »Zeit der trunkenen Pferde«
und »Schildkröten können fliegen« spielt auch
»Half Moon« vor der eindrucksvollen Kulisse einsamer
Gebirgslandschaften im iranisch-irakisch-türkischen Grenzgebiet.
Waren in den vorangegangen Filmen Flüchtlingskinder die
Hauptfiguren, so stehen diesmal ein Greis und sein Familienclan im
Mittelpunkt.
Mamo – überzeugend gespielt von
Ismail Ghaffari – war einst ein gefeierter kurdischer Sänger.
Nun lebt er alt und krank im Iran. Sein Traum ist es, ein letztes Mal
vor großem Publikum aufzutreten. Der Sturz von Saddam Hussein
im benachbarten Irak scheint diesen Traum Wirklichkeit werden zu
lassen. Endlich darf wieder auf kurdisch gesungen werden.
Mamo
trommelt seine zehn verstreut lebenden Söhne zusammen, um noch
einmal auf Tour zu gehen. Diese – inzwischen gestandene Männer
mit Familie und Job – sind alles andere als überzeugt von
der Idee. Doch Mamo ist ein Patriach alter Schule, der schon mal mit
der Pistole in der Hand seinen Willen durchsetzt.
Ein
klappriger Schulbus, gefahren von Mamos Freund Kako, einem
Veranstalter von Hahnenkämpfen, dient als Tourbus. Hier
verbringt das eigentümliche Ensemble musizierend, streitend und
teekochend die nächsten Tage. Unterwegs holt Mamo die in ein
Bergdorf verbannte Sängerin Hesho (gespielt von Hedye Tehrani)
ab, um sie aus dem Land zu schmuggeln.
Das Visum für den
Irak ist besorgt, der Rundfunk kündigt das Konzert bereits an.
Doch ein böser Fluch lastet über der Reise – noch vor
Vollmond werde ein Unglück geschehen, hat einer der Söhne
vorhergesagt. Tatsächlich reiht sich ein Unglück an das
nächste, die Instrumente werden zerstört, die Sängerin
wird verhaftet. Dann ist der Weg in den Irak versperrt – durch
die »Befreier«. »Die Amerikaner schießen auf
alles, was sich bewegt«, ruft ein Fliehender den an der Grenze
in einem Kugelhagel ausharrenden Männern zu.
Wie ein
Engel aus dem Nichts taucht die geheimnisvolle Niwemang – das
bedeutet Halbmond – (gespielt von Golshifteh Farahani)
auf. Noch am selben Abend werde Mamo mit seinen Söhnen auf der
Bühne stehen, verspricht die junge Frau. Doch Mamos
Todesvisionen verschwimmen zunehmend mit der Wirklichkeit. In seinen
erkalteten Händen wird die Partitur eines Konzerts für
Kurdistan zum unvollendeten Requiem eines alten Mannes, dessen
Hoffnung zuletzt starb.
»Mozarts Requiem hat mich zu
diesem Film geführt. Während des Schreibens und Filmens
mußte ich immer wieder über Mozart und Mamo am Ende ihrer
beider Leben nachdenken«, sagt Ghobadi, dessen Film als
Auftragsarbeit für Peter Sellars »New Crowned
Hope«-Projekt zum Mozart-Jahr 2006 entstand. »Mir gefiel
der Gedanke, aus Mamos Figur eine Art kurdischen Mozart zu machen.«
Als Hommage an alle iranischen Sängerinnen im Exil will Ghobadi
die »himmlische Stimme« der Sängerin Hesho
verstanden wissen. Zwar existiert das Bergdorf, in dem Hesho als eine
von 1334 verbannten Sängerinnen lebt, nicht wirklich. Aber es
gibt ein Gesetz, daß es Frauen im Iran verbietet, in Gegenwart
von Männern zu singen. Dort wurde der Film von der Realität
eingeholt und deswegen kurz nach der Premiere verboten.
Die
Teheraner Behörden fürchten auch, die im Film gezeigte
Willkür iranischer Polizisten könnte Autonomiebestrebungen
der kurdischen Minderheit erstarken lassen, eine Minderheit von
immerhin rund sechs Millionen. Erst im Juli wurden zwei kurdische
Journalisten als »Feinde Gottes« zum Tode verurteilt. Mit
Sensibilität, aber auch Galgenhumor zeigt Ghobadi neben aller
Poesie immer wieder auch diese politische Realität.
Nick Brauns
»Half Moon« (Niwemang), Iran/Österreich/Frankreich 2006, Regie: Bahman Ghobadi, 107 min, Kinostart heute