gekürzt in junge Welt vom 11.9.2006: http://www.jungewelt.de/2006/09-11/011.php

Die Goedeler-Legende

Hans-Ulrich Brandts „beinahe historischer Roman“ über ein geglücktes Attentat gegen Hitler

Im März 1943 besucht Hitler die Front. Für den Rückflug wird von Oberst Henning von Treschkow, einem Verschwörer aus dem Kreis um Generaloberst Beck und Carl-Friedrich Goerdeler, eine Bombe in Hitlers Flugzeug geschmuggelt. Doch wegen der Kälte im Gepäckraum explodiert der Sprengsatz nicht. Doch was wäre wenn die Bombe von Smolensk explodiert wäre? Hans-Ulrich Brandt, zu DDR-Zeiten Musikchef der internationalen Showsendung „Ein Kessel Buntes“, spielt in Roman-Form die Frage durch, ob ein Militärputsch gegen Hitler zum Sturz des Naziregimes und einem Ende des Weltkrieges geführt hätte. Überzeugend gelungen ist dies dem Autor in seinem „beinahe historischen Roman“ „Sieg Heil! Wird abgeblasen“ leider nicht.

Auf 500 Seiten zeichnet Brandt in langatmiger Weise ohne jede Spannung den fiktiven Weg vom erfolgreichen Attentat auf Hitler, der Übernahme der Staatsmacht durch die Wehrmacht, Friedensverhandlungen mit den Alliierten, der Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie und der Schaffung eines vereinten Europas auf.

Der Nationalsozialismus wird bei Brandt zu einer Veranstaltung harter Nazis. Hitlers willige Vollstrecker in der Bevölkerung spielen ebenso wenig eine Rolle wie  Industrie und Kapital als Förderer und Hauptprofiteure des Faschismus. Der Militärputsch gegen die Nazielite und SS verläuft im Roman nahezu problemlos, Goebbels, Goering und Konsorten werden abgeknallt. Lediglich Mordanschläge untergetauchter SS-Verschwörer halten die neue Staatsführung weiterhin in Atem. Aus Sicht des Historikers wäre ein blutiger Bürgerkrieg zwischen SS- und Nazikräften auf der einen Seite und Teilen der Wehrmacht auf der anderen in einer solchen Situation. wesentlich wahrscheinlicher gewesen. Zudem entstammte ein Großteil der Frontsoldaten der Hitlerjugend-Generation und war von Jugend an vollständig vom faschistischen Geist beeinfluß. Doch die Frage, was mit der verhetzten Jugend zu geschehen habe, stellt sich Brandt nicht, wie überhaupt die Bevölkerung auf den gelungenen Militärputsch nicht weiter zu reagieren scheint.

Reibungslos gehen auch die Friedensverhandlungen über die Bühne. Die Differenzen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion werden verniedlicht, Systemauseinandersetzungen fehlen völlig. Hier gibt es keinen Churchill, der 1945 mit Blick auf Nazideutschland meinte: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“. Unter Vernachlässigung der ökonomischen Motive des Krieges im Osten wird im Roman auch der Truppenrückzug der Wehrmacht aus den besetzten Gebieten nach dem erfolgreichen Attentat zu einer leichten Übung. Der gemütliche Pfeifenraucher Stalin denkt nicht weiter an Reparationen für ein verwüstetes Land und 30 Millionen ermordeter oder gefallener Sowjetbürger. Schließlich gesteht ihm die neue deutsche Regierung im Roman Kontrolle über die Wehrmacht zu.

Neben der fiktiven Figur eines Oberleutnant Herbert Böhne, der am Ende zum europäischen Verteidigungsminister aufsteigt, ist der Held des Romans Carl-Friedrich Goerdeler, der zum ersten Kanzler des erdachten Nachkriegsdeutschland wird. Offensichtlich ist Hans-Ulrich Brandt der bundesrepublikanischen Goedeler-Legende auf den Leim gegangen. Im staatstragenden BRD-Antifaschismus wird der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister, der für wegen seiner Verschwörertätigkeit gegen Hitler im Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, als Vordenker der Vereinigten Europa und der westdeutschen Demokratie gefeiert. Doch tatsächlich war Goerdeler ein überzeugter Monarchist und williger Vollstrecker der Nazi-Rassenpolitik. Schon 1932 sprach er sich für eine Regierungsbeteiligung der Nazis aus. Später tat er sich durch Maßnahmen gegen "nichtarische" Ärzte und Anwälte sowie noch vor Inkrafttreten der "Nürnberger Gesetze" für Besuchsverbote für Juden in kulturellen Einrichtungen Leipzigs hervor.

In Opposition gegen Hitler gerieten Goerdeler und andere "Männer des 20. Juli" erst als eine militärische Niederlage Deutschlands absehbar wurde. So sah Goerdeler das Problem weniger im Krieg selbst, sondern in der Weise, wie er geführt und die Vormachtstellung Deutschlands im "Großwirtschaftsraum Europa" gefährdet wurde. "Als wichtig ist hier nun zu erwähnen, daß man einen Weltkrieg nicht mit einer unfähigen militärischen Oberleitung und nicht mit einer abenteuerlichen politischen Führung gewinnen kann“, hieß es in Goerdelers geheimer Gedenkschrift für die Generalität vom 26. März 1943. In eben dieser Denkschrift äußerte er: "Deutschland bedarf einer monarchischen Spitze". Die Gettos der Juden sollten "menschenwürdig" gestaltet werden, Streiks und Aussperrungen weiterhin verboten bleiben und als "Reichsführer" kämen "Erbkaiser, Wahlkaiser, auf Zeit gewählter Führer" in Frage, hatte der reaktionären Verschwörer zusammen mit Generaloberst Beck bereits 1941 für Nach-Hitler-Deutschland gefordert.

Bei Brandt erscheinen Goerdelers Pläne vom vereinigten Europa als friedenspolitischer Gegenpol zu den USA. In Wirklichkeit war Goedeler Vertreter einer alternativen Europastrategie des deutschen Imperialismus. Schon 1941 hatte er zusammen mit  Beck in der Schrift "Das Ziel" das Nachkriegsdeutschland als "Führung des europäischen Blocks" gesehen und sich für Kolonien ausgesprochen.

Ungewollt entlarvt Brandt die reaktionäre Vision Goedelers, wenn er über das fiktive Jahr 1954 schreibt. „Im Deutschland hatte man sich vollkommen von dem zehnjährigen faschistischen Intermezzo erholt. ... Wenn man zufällig mal an Adolf Hitler dachte, dann wußte man jetzt, daß es sich ohne „Sieg Heil“ wesentlich besser und gesünder lebte. In dem Europa, welches ein Doktor Carl Goerdeler einmal zu Papier gebracht hatte, mußte niemand Hunger leiden oder gar frieren und jeder hatte einen Arbeitsplatz. Ausländerprobleme gab es überhaupt nicht. Die Grenzen waren gesichert. Wer einwandern wollte, wurde auf Herz und Nieren überprüft und illegal eingereiste Leute wurden ausnahmslos in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt.“

Die Kanzlei des Brandenburger Bildungsministers will das Buch übrigens als Schullektüre empfehlen. Zwei Schuldirektoren an Brandenburger Gymnasien sagten dagegen vor einigen Wochen Lesungen des Autors wieder ab. Die öffentliche Demontage Hitlers könnte zu negativen Reaktionen der Schüler führen, so die Befürchtung.

Nick Brauns

Hans-Ulrich Brandt: Sieg heil! Wird abgeblasen! Kai Homilius Verlag Berlin 2006, ISB N 3-89706-806-0, 496 S., Paperback, 8.75 €