Aus: junge
Welt vom 28.02.2020, Seite 11 / Feuilleton
Mit dem Gesicht zur Wand!
Auch Pädagogen können nichts für ihre Namen:
Erinnerungen an eine Schulzeit in Bayern
Von Nick Brauns
Was ein Nazi ist, davon hatte ich im
zarten Alter von acht oder neun Jahren nur eine vage Vorstellung. Es musste
allerdings so etwas wie Schuldirektor Feldmann sein, ahnte ich. Der gestrenge
grauhaarige Pädagoge mit dem scharfen Blick hinter den Brillengläsern leitete
die Grundschule im Münchner Nordosten, an die ich 1978 kam.
Die
Büßerecke
Alle paar Wochen wurden Klassen mehrerer
Jahrgangsstufen zum Gesangsunterricht mit dem Rektor in einem Saal
zusammengerufen. Mit der Gitarre in der Hand ließ uns Feldmann dann Liedgut
singen, welches er – Jahrgang 1925 – wohl in seiner verlorenen Jugend kennengelernt
hatte. Einzelne Lieder begegneten mir später während meines Geschichtsstudiums
in einem Liederbuch für Wehrmachtssoldaten. Unsere Pimpfen-Volksgemeinschaft
sah Feldmann offenbar gestört durch die wenigen Schüler mit
Migrationshintergrund, die im konkreten Fall aus Jugoslawien stammten.
»Schwarzer Zigeuner, in die Ecke! Mit dem Gesicht zur Wand!«
brüllte der Rektor, wenn von diesen Schülern ein falscher Ton kam. Sprang der
Gemeinte nicht sofort in die Büßerecke, half Feldmann, der in seiner Wut Gitarrensaiten
zum Reißen brachte, schon mal mit einem sanften Stoß nach. Das war in jener
Zeit nichts Ungewöhnliches, die Prügelstrafe wurde an Bayerischen Schulen ja
auch erst 1980 abgeschafft.
Ein ganz anderes Kaliber war der Leiter
des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums, an das ich wechselte: ein liberaler
Pädagoge mit dem unpassenden Namen Horst Buhmann. Wenn der Schullautsprecher
knackte, der eigene Name ertönte und die Weisung kam, sich im Direktorat
einzufinden, verhieß das in der Regel dennoch nichts Gutes. Einmal stand
Buhmann bereits in der Tür seines Büros, in der Hand Aufrufe der DKP und des
Arbeiterbundes zu Protesten gegen die faschistischen Republikaner des
ehemaligen Waffen-SS-Mannes Franz Schönhuber. Die Flugblätter hatten wir am Tag
zuvor an das Schwarze Brett der SMV – der Schülermitverantwortung – gehängt,
von wo sie gleich wieder verschwunden waren. Doch statt eines befürchteten
Verweises wegen Störung des Schulfriedens durch kommunistische Agitation
drückte uns der Direktor die Flugblätter wieder in die Hand mit den Worten:
»Die hat hier ein anderer Schüler abgegeben. Hängen Sie die mal wieder zurück
ans schwarze Brett.«
Als 1991 vermehrt Flüchtlinge unter
anderem aus dem gerade bombardierten Irak nach Bayern kamen, sollte auch die
Sporthalle des Hausenstein-Gymnasiums für ihre Aufnahme herhalten. Buhmann
verteidigte – unterstützt von vielen Eltern – seine Sporthalle energisch gegen
eine solche Zweckentfremdung. Wir angehenden Linksintellektuellen, denen der
Schulsport seit jeher ein Graus war, sahen dagegen die Chance, zwei Fliegen mit
einer Klappe zu schlagen und das Gebot der Humanität mit dem Verzicht auf
Leibesertüchtigungen zu verbinden. So tippten wir schnell mit Schreibmaschine
ein Flugblatt, das wir im Pausenhof verteilten. Einen presserechtlich
Verantwortlichen hatten wir nicht angegeben, doch der Kreis der Verdächtigen
war überschaubar. Also ließ Buhmann uns per Schullautsprecher ausrufen.
Das
Für und Wider
Statt eine Standpauke zu halten, lud uns
der Direktor zum Gespräch über das Für und Wider der Flüchtlingsunterbringung
bei Tee und Plätzchen in sein Zimmer. Für die Flüchtlinge wurde schließlich ein
weniger schülerschweißgetränkter Unterbringungsort gefunden, so dass wir weiter
unter dem Kommando eines jähzornigen Sportlehrers, über dessen
DKP-Mitgliedschaft hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde, über Reck und
Barren turnen mussten. Buhmann wiederum konnte kaum ahnen, was er langfristig
anrichtete, als er mir bei einer Verlosung von Büchern, die der Deutsche
Taschenbuchverlag der Schule gespendet hatte, ausgerechnet einen Band mit
Lenin-Schriften übereignete.
Anfang der 90er Jahre kreuzten sich dann
noch einmal meine Wege mit denen des mittlerweile in den Ruhestand getretenen
Grundschuldirektors Feldmann. Mangels attraktiver linker Alternativen war ich
in die damals noch marxistisch geprägten Jusos eingetreten. Als ich
pflichtbewusst beim zugehörigen SPD-Ortsverein zum Antrittsbesuch
vorbeischaute, wurde mir dort der »sehr geschätzte Genosse Feldmann« aus dem
Bezirksausschuss vorgestellt. Nach Parteitradition wäre ich mit dem nun als
Heimatforscher seinen Ruhestand ausfüllenden Pädagogen sogar per Du gewesen. Doch ich bekam kein Wort heraus, ich war einfach
baff, den einstigen Schultyrannen nun im roten Pelz wieder zu treffen. Ehe mich
jetzt Nachfahren des im Jahr 2014 Verstorbenen, der sich als Pensionär sehr
verdient um Stadtteilkultur gemacht haben soll, wegen übler Nachrede verklagen,
möchte ich mich korrigieren. Sicherlich war Herbert Feldmann gar kein Nazi,
sondern höchstens so ein bayerischer Provinz-Sarrazin.