Geistige Brandsätze

Gazi Caglar enthüllt den Mythos vom Kampf der Zivilisationen

Der 11.September 2001 hat zu einer Renaissance der schon überholt geglaubten Deutungsmuster vom „Kampf der Zivilisationen“ geführt. Von der Zeitschrift Konkret bis zu Georg W. Bush herrscht Einigkeit darüber, dass die Terroranschläge einen Angriff auf „die westlichen Zivilisation“, „die Moderne“ und die „offenen Gesellschaft“ darstellten.

Bereits 1993 hatte der Direktor des rechtsintellektuellen Olin-Instituts für Strategische Forschungen an der Harvard-Universität Samuel P. Huntington die These aufgestellt dass die Achse der Weltpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges durch den Zusammenprall der Zivilisationen bestimmt werde. Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen“ hat nun ebenso die Bestsellerlisten erklettert, wie der „Krieg der Zivilisationen“ des in Deutschland lebenden Syrers Bassam Tibi.

Der 1980 aus der Türkei geflohene und heute an Universität Hannover lehrende Politologe, Religionswissenschaftler und Historiker Gazi Caglar hat mit dem Unrast-Verlag zusammen eine wissenschaftliche Replik auf den „Mythos vom Krieg der Zivilisationen“ vorgelegt. Während der bereits 1997 verfasste erste Teil des Buches einen methodischen – zum Teil etwas langatmigen – Überblick über die Geschichtsphilosophien von Tibi, Huntington und ihren Vorläufern bietet, stellt das nach dem 11.September 2001 geschriebene Nachwort ein wütendes Manifest gegen die USA „als fundamentalistische Stimme der kapitalistischen Zivilisation“ und ihre europäischen Verbündeten dar.  „Das Zivilisationsparadigma drückt einen machtzentrierten Anspruch aus, welcher die westliche Hegemonialstellung im geokulturellen Kampf um Geschichte, Kultur und Identität fixieren soll.“, so Caglars Grundthese. „Der rechtsintellektuellen These vom Krieg der Zivilisationen bleiben die Zusammenhänge von Kultur, Globalität und kapitalistischem Weltsystem verborgen. Vielmehr lebt sie von einer Kulturalisierung von Politik und Politisierung von Kultur, was auch daran deutlich wird, dass sie das Problem der Gewalt wesentlich an kulturellen und ethnischen Konflikten festmachen will. Die globalen Destruktionskräfte des Imperialismus spielen keine Rolle.“

Caglar zeigt auf, dass das von Huntington und Tibi formulierte Zivilisationsparadigma seine Grundlagen in den zyklischen Geschichtsphilosophien rechtskonservativer Denker wie Oswald Spengler, Arnold Toynbee oder des Panslawisten Nikolaj Danilevskij hat. In all diesen Geschichtsmodellen bilden Zivilisationen beziehungsweise Kulturkreise phantastisch-heroische Akteure der Weltgeschichte. Der Kontakt zwischen vorwiegend religiös voneinander abgegrenzten Zivilisationen ist in den Augen der rechten Geschichtsphilosophen nur als Zusammenprall oder Krieg denkbar. Entwicklungsschemata aus der Biologie werden dabei in sozialdarwinistischer Weise auf Kulturkreise übertragen, die demnach ebenso eine Kindheit und ein Erwachsenenalter durchleben, wie den Tod. In der Tradition von Spengler warnt Tibi vor dem „Untergang des Abendlandes“ als Folge der Dekadenz der „kulturellen Moderne“. Als inneren Feind, der den West „alt und schwach“ werden ließ, hat Tibi „Multikulturalisten, Kulturrelativisten und Feministinnen“ ausgemacht.

Eine wertfreie wissenschaftliche Verwendung des Zivilisationsbegriffs ist nach Caglars Meinung unmöglich. „Er erhellt nichts, verklärt vieles und macht schließlich blind nicht nur gegenüber dem Anderen.“ Caglar weist nach, dass – etwa im Vergleich mit Norbert Elias` Zivilisationstheorie – Huntingtons und Tibis Zivilisationsbegriff eine unwissenschaftliche soziobiologische Konstruktion darstellt, die sich einer exakten Definition bewusst entzieht. Gerade dadurch kann der Zivilisationsbegriff als identitätsstiftender Mythos innerhalb der imperialistischen Staaten im Kampf um die Aufteilung neuer ökonomischer, politischer, militärischer und kultureller Einflusssphären mobilisierend wirken.

Bei der Abgrenzung „des Westens“ oder „der Moderne“ betonen Huntington und Tibi immer wieder die Werte „ewiger Vernunft“ im Gegensatz zu religiös geprägten außerwestlichen Kulturkreisen. Dass die ureigensten Werte  der christlichen Rechten in den USA, aber auch der deutschen Unionsparteien  – Familie, Vaterland, Glaube und Ehre - auf verblüffende Weise mit denjenigen Werten übereinstimmen, die Huntington und Tibi als Kennzeichen nichtwestlicher vormoderner Zivilisationen ausgemacht haben, zeugt von ihrer Unfähigkeit, „das `Traditionelle´ im `modernen´ Menschen und das `Moderne´ im `traditionellen´ Menschen zu sehen“.

Tatsächlich ist die angebliche Vormoderne, die mit dem Islam identifiziert wird, integraler Bestandteil der kapitalistischen Moderne. Auch das Afghanistan der Taliban war eben nicht das Mittelalter sondern nur eine brutalisierte und radikalisierte Version eines Kapitalismus mit „asiatischen“ Werten.

Für die vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der zunehmend auch unter Linken und Linksliberalen positiv aufgenommenen imperialistischen Ideologie vom Kultur- oder Zivilisationskampf bildet Caglars Untersuchung eine nützliche Grundlage, denn: „Die `wissenschaftliche Theorien´ vom Zivilisationskrieg müssen als das beurteilt werden, was sie sind: geistige Brandsätze, die in die schon brennenden weltpolitischen Konstellationen geworfen werden.“

Nick Brauns

Gazi Caglar: Der Mythos vom Krieg der Zivilisationen. Eine Replik auf Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen. Unrast Verlag Münster 2002. 16 Euro.