Junge Welt 09.08.2003
Auf Heydrichs Liste
Eines der frühen Mordopfer des Naziregimes wurde vor 70 Jahren der republikanische Journalist Felix Fechenbach
Als Kind einer armen jüdischen Handwerkerfamilie konnte der
am 28. Januar 1894 in Mergentheim geborene Felix Fechenbach nur eine äußerst
unzureichende Schulausbildung genießen und mußte sich autodidaktisch
weiterbilden. In Würzburg folgten eine Lehre in einer Schuhgroßhandlung und der
Eintritt in die SPD. Fechenbach ging nach München, wo er im Arbeitersekretariat
– einer Vorläuferinstitution der gewerkschaftlichen Rechtsberatung – tätig
wurde.
Im Krieg wurde Fechenbach nach einer Verwundung an der Westfront zum Traindepot
nach München versetzt. Dort lernte er sein großes Vorbild, den Philosophen und
Journalisten Kurt Eisner kennen, der aus Gegnerschaft zum Krieg der
Unabhängigen Sozialdemokratie beigetreten war und Diskussionskreise in der
Gaststätte Goldener Anker veranstaltete. Hier versammelten sich Kriegsgegner –
von bürgerlichen Pazifisten über Dichter wie Ernst Toller und Erich Mühsam bis
zu den Kadern der USPD. Aus diesem Kreis kam auch der Anstoß zur
Arbeitsniederlegung der Münchner Rüstungsarbeiter während der reichsweiten
Januarstreiks gegen den Krieg 1918.
Die letzte Stunde der Wittelsbacher Monarchie hatte am 7. November desselben
Jahres geschlagen. Zehntausende Arbeiter, Bauern und Soldaten versammelten sich
zur Großkundgebung auf der Theresienwiese. Nach Eisner und dem Führer des
Bauernbundes Ludwig Gandorfer ergriff Fechenbach in seiner feldgrauen
Unteroffiziersuniform das Wort und wandte sich an die zahlreich versammelten
Soldaten: »Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die
Revolution!« Dies war das eigentliche Signal zur Revolution in Bayern. Ein
Demonstrationszug mit Eisner, Fechenbach und Gandorfer an der Spitze zog zu den
Münchner Kasernen, deren Soldaten sich meist den Revolutionären anschlossen.
Oskar Maria Graf zeigte sich noch Jahre später verwundert, daß ausgerechnet
»jener rührend unbeholfene, einfache Felix Fechenbach uns alle mitgerissen«
hat. Nach Ausrufung des Freistaates Bayern durch Kurt Eisner wurde der erst 24
Jahre alte Fechenbach Privatsekretär des neuen Ministerpräsidenten.
Obwohl die Ermordung Eisners durch den Antisemiten Anton Graf Arco am 21.
Februar 1919 Fechenbach tief erschütterte, ließ er sich nicht von der
Radikalisierung der Ereignisse mitreißen. Die Ausrufung der Räterepublik lehnte
er ab. »Sie werden in München herrschen können für acht oder 14 Tage, und das
Land wird auf die Regierung in Bamberg hören«, warnte er. Die Räterepublik
würde vom Land ausgehungert und die Räterepublikaner würden »infolge ihres
eigenen Wahnsinns verbrennen«. Noch bevor diese Prophezeiungen wahr wurden und
die Freikorps Ende April zum Sturm auf das rote München ansetzten, hatte
Fechenbach die Stadt verlassen – um zu heiraten.
Reaktionäre Kreise verziehen ihm nicht, daß er im November 1918 zusammen mit
Eisner Dokumente zur deutschen Kriegsschuld veröffentlicht hatte. Mit Schreiben
bayerischer Diplomaten vom Sommer 1914 hatte er bewiesen, daß die Führung des
deutschen Reiches den Krieg gezielt anstrebte. Wegen der Weitergabe eines vom
Juli 1914 stammenden Telegramms des bayerischen Gesandten beim Vatikan an einen
Schweizer Journalisten wurde Fechenbach von einem bayerischen Volksgericht des
vollendeten Landesverrats bezichtigt. Auch seine in der englischen Presse
erschienenen Berichte über rechtsextreme Fememordorganisationen in Bayern
wurden als versuchter Landesverrat gewertet. Das Gericht verurteilte Fechenbach
am 20. Oktober 1922 zu elf Jahren Zuchthaus und zur Aberkennung der
bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre. Gegen das Skandalurteil protestierten
große Kreise der demokratischen Intelligenz der Weimarer Republik. Der
öffentliche Druck zeigte Wirkung. Um Proteste gegen die vorzeitige
Haftentlassung Adolf Hitlers aus der Festungshaft zu vermeiden, hatte die
bayerische Staatsregierung angeordnet, auch eine kleine Anzahl linksgerichteter
Häftlinge zu amnestieren. So kam Fechenbach im Dezember 1924 nach rund zwei
Jahren Haft frei.
Die folgenden Jahre arbeitete er als Lektor beim sozialdemokratischen
Dietz-Verlag in Berlin und schrieb für den Vorwärts. Als Redakteur des
sozialdemokratischen Detmolder Volksblattes widmete sich Fechenbach ab 1929 der
Entlarvung der Nazibewegung. Mit der erfundenen Figur des »Nazi-Jüsken« machte
er die Nazis lächerlich, ließ aber immer wieder Enthüllungen über Interna der
NSDAP einfließen.
Nach der Machtübertragung an die Nazis wurde Fechenbach am 11. März 1933 in
»Schutzhaft« genommen und am 7. August ins KZ Dachau überführt.
SA-Obergruppenführer Grüttemeyer ließ den Wagen in einem Waldstück nahe der
Stadt Scherfede stoppen. Dort eröffneten die den Gefangenentransport
begleitenden SA- und SS-Männer das Feuer auf den Schutzhäftling. Ohne das
Bewußtsein wiederzuerlangen, starb Fechenbach am selben Abend. Er wurde 39
Jahre alt. »Bei einem Fluchtversuch erschossen«, meldete der damalige Chef der
Bayerischen Politischen Polizei, Reinhard Heydrich, dem Innenministerium.
Offensichtlich hatte Heydrich die Ermordung des ihm schon lange als
republikanischen Journalisten und Juden verhaßten Fechenbach von langer Hand
vorbereitet.
Nick Brauns