Aus: junge Welt Ausgabe vom 03.11.2014, Seite 1 / Titel

Die Welt für Kobani

Hunderttausende bekunden bei Demonstrationen auf fünf Kontinenten Solidarität mit kurdischer Stadt in Syrien

Von Nick Brauns

Mit einem weltweiten Aktionstag zeigten am Sonnabend Hunderttausende Demonstranten ihre Solidarität mit der seit sieben Wochen von den Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) angegriffenen Stadt Kobani (Ain Al-Arab) in Nordsyrien. Protestaktionen gab es nach Angaben des Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad in 92 Städten in 30 Ländern auf allen Kontinenten. »Wenn die Welt Demokratie im Mittleren Osten will, sollte sie den kurdischen Widerstand in Kobani unterstützen«, heißt es in dem von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterschriebenen Aufruf zur »Global Rally for Kobani«. Die säkulare, konfessionslose und demokratische Haltung im Selbstverwaltungsgebiet Rojava verspreche eine »freie Zukunft« für alle Menschen in Syrien.

Die größten Demonstrationen fanden in der Türkei statt. In den kurdischen Landesteilen gingen nach Angaben der Agentur Firat Hunderttausende Menschen auf die Straße, auch in Istanbul und weiteren westtürkischen Städten gab es Proteste gegen die Unterstützung des IS durch die türkische Regierung. Delegationen von Gewerkschaften, sozialistischen Parteien und Menschenrechtsvereinigungen beteiligten sich in Grenzdörfern in Sichtweite der umkämpften Stadt an Mahnwachen. In Diyarbakir, wo die Armee mit Panzerfahrzeugen aufgefahren war, kam es nach Polizeiangriffen zu Straßenschlachten. Solidaritätskundgebungen fanden in vielen europäischen Ländern, aber auch in Südafrika, Indien, Afghanistan, Venezuela, Chile und Russland statt. In Deutschland gingen in 16 Städten Tausende Menschen auf die Straße.

In Kobani gingen die schweren Kämpfe am Wochenende weiter, dabei starben Dutzende Menschen auf beiden Seiten. Mit dem Eintreffen von 150 Peschmerga-Kämpfern der irakisch-kurdischen Regionalregierung, die in der Nacht zum Sonnabend die türkisch-syrische Grenze überquerten, könnte sich das Schlachtenglück zugunsten der Verteidiger wenden. Denn die Peschmerga führen Panzerabwehrwaffen mit sich, die die nur leicht bewaffneten Volksverteidigungseinheiten (YPG) dringend zum Kampf gegen die Panzer des IS benötigen. Der Verteidigungsminister von Kobani, Ismet Scheich Hesen, sprach auf einer Pressekonferenz von einem »historischen Tag« und drückte seine Hoffnung auf »Bildung einer Nationalarmee zum Nutzen aller Völker Kurdistans« aus. »Wir sind bereit, jeden Teil Kurdistans ohne Unterschied zu verteidigen«, versprach Peschmerga-Kommandant Ehmed Gerdi. Unter Kurden in der Türkei sorgt das Eingreifen der Peschmerga für einen Aufschwung patriotischer Gefühle. »Es lebe die kurdische Einheit« titelte die Tageszeitung Özgür Gündem. Die türkische Regierung hatte den Einsatz der Peschmerga lange verzögert und statt dessen in der vergangenen Woche den Durchmarsch von 200 Kämpfern der von Ankara gegen die syrische Regierung unterstützen Freien Syrischen Armee (FSA) nach Kobani genehmigt.

Im Nordirak haben Peschmerga am Wochenende mit einer Offensive in der von Jesiden bewohnten Region Sindschar (Sengal) begonnen, die der IS im August nach dem Rückzug der Peschmerga nahezu kampflos eingenommen hatte. Unterstützt von Luftangriffen der US-geführten Koalition ging die irakische Armee nach Angaben der Nachrichtenseite Al-Sumaria News zudem gegen IS-Stellungen bei der Stadt Ramadi im Westen des Landes vor, wo IS-Kämpfer in den vergangenen Tagen mehr als 200 Mitglieder eines sunnitisch-arabischen Stammes massakriert hatten.