Kadergeschichte

 

Das biographische Handbuch zur KPD-Geschichte von Hermann Weber und Andreas Herbst

 

Eine Kollektivbiographie des kommunistischen Parteikaders zwischen 1919 und 1945 haben der Mannheimer Kommunismusforscher Hermann Weber und der Berliner Historiker Andreas Herbst mit dem biographischen Handbuch „Deutsche Kommunisten“ vorgelegt. Herkunft und Sozialisation, politische Aktivitäten und Karrieren der KPD-Führungspersonen werden ebenso beschrieben wie die Haltung zur jeweiligen Parteilinie, Verfolgung und Widerstand sowie häufig der gewaltsame Tod als Opfer von Hitler oder Stalin.

 

Das im Berliner dietz-Verlag erschienene Buch konnte auf eine Reihe von Vorläufern zurückgreifen.

 

Bereits 1969 veröffentlichte Weber im Ergänzungsband seiner „Wandlung des deutschen Kommunismus“ sowie zwanzig Jahre später in „Weiße Flecken in der Geschichte“ Hunderte Kurzbiographien kommunistischer Funktionäre.

Das Institut für Marxismus-Leninismus (IML) beim ZK der SED hatte 1970 als Ergänzung zur von Walter Ulbricht redigierten 8-bändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ein Biographisches Lexikon vorgelegt. Da die zahlreichen Opfer der Stalinschen Säuberungen durch ein kryptisches „in der Sowjetunion verstorben“ deutlich wurden und einige „Unpersonen“ wie Willi Münzenberg in den Augen der SED-Führung zu positiv dargestellt waren, wurde das Buch bald zurückgezogen.

Biographien von Funktionären der „rechten“ KPD-Opposition um Heinrich Brandler legte Theodor Bergmann 1987 und in erweiterter Form 2001 in „Gegen den Strom“ vor.

Überprüft und ergänzt werden konnten all diese Lebensläufe in den letzten Jahren mit Hilfe der vor 1990 nur begrenzt zugänglichen Archive der SED sowie der Komintern in Moskau.

 

„Deutsche Kommunisten“ enthält 1400 Porträts. Aufgenommen wurden die Teilnehmer des KPD-Gründungsparteitages, Führungsfunktionäre von der Bezirksebene bis zum Politbüro, deutsche Vertreter in der Komintern, Chefredakteure der Parteipresse, Reichs- Landtags- und zum Teil Bürgerschaftsabgeordnete, Leiter von Massenorganisationen wie dem Roten Frontkämpferbund, Führungskader der illegalen KPD unter dem Faschismus, Teilnehmer der sogenannten Brüsseler und Berner KPD-Konferenzen sowie Leitungsfunktionäre des KPD-Geheimapparates. Dazu kommen die Biographien ausgewählter kommunistischer Kulturschaffender wie Johannes R. Becher oder prägnanter Persönlichkeiten wie dem von den Nazis zur KPD übergewechselten Reichswehrleutnant Richard Scheringer.

Fast ein Drittel der vorgestellten Personen bezahlte seine kommunistische Überzeugung mit einem gewaltsamen Tod. 222 KPD-Funktionäre wurden unter dem NS-Regime ermordet, einige fielen im Spanischen Bürgerkrieg und 178 weitere überlebten die „Säuberungen“ im sowjetischen Exil nicht.

 

Viele Biographien sind ausgesprochen subjektiv verfasst. So wird der anarchosyndikalistische Herausgeber der „Aktion“ Franz Pfemfert als „Wahrheitsfanatiker“ tituliert. Und zu Wilhelm Pieck wird aus einem nicht näher genannten Blatt „der kommunistische Opposition“ zitiert: „Die Moskauer haben ihn Teddy [Thälmann] auf die Nase gesetzt, denn es muss doch wenigstens einer im Sekretariat sein, der bis drei zählen kann. Pieck kann bis drei zählen, wenn er es auch manchmal verbirgt. ... Der Generalsekretär Pieck von 1932 ist nicht der Revolutionär von 1918 und 1920, sondern ein ausgestopfter Papagei.“ So etwas mag mitunter auch treffend sein, ist in einem lexikalischen Werk allerdings fehl am Platze. Insbesondere, wenn stattdessen wichtige biographische Details, die sogar im „Biographischen Lexikon“ des IML enthalten sind, unter den Tisch fallen.

 

Während bei einer Reihe von Personen ihre Teilnahme an der illegalen Funktionärstagung der KPD am 7. Februar 1933 im Sporthaus Ziegenhals erwähnt wird, fehlt dieser Hinweis ausgerechnet beim Hauptreferenten dieser Sitzung Ernst Thälmann.

 

Auch wird mit keinem Wort Wilhelm Piecks Rolle als Gründer und Vorsitzender der Roten Hilfe erwähnt, obwohl die Hilfsorganisation für politische Gefangene die mitgliederstärkste KPD-Frontorganisation war. Nach der Absetzung von Jelena Stassowa wurde Pieck 1937 auch zum Vorsitzenden der Internationalen Roten Hilfe ernannt. Dass Clara Zetkin bis zu ihrem Tod 1933 diesen Posten inne hatte, war Weber/Herbst ebenfalls nicht der Erwähnung wert. 

 

Als „deutscher Robin Hood“ führte der Rätekommunist Max Hoelz während der Kämpfe im mitteldeutschen Industrierevier 1921 einen Partisanentrupp, der zum Eintreiben von „Revolutionssteuer“ Fabrikantenvillen sprengte. Nach langer Haft übersiedelte Hoelz 1929 in die Sowjetunion, wo er im September 1933 in der Oka ertrank. War der gute Schwimmer betrunken mit seinem Boot gegen einen Brückenpfeiler gefahren oder handelte es sich um einen Mord des sowjetischen Geheimdienstes? Kürzlich aufgefundene Hoelz Briefe aus dem Hotel Lux belegen seinen Streit mit Teilen der Sowjetbürokratie.

„Inzwischen steht fest, dass er ein frühes Opfer der stalinistischen Säuberung war“, behaupten Weber/Herbst. Als „Beweis“ führen sie das 1936/37 vom NKWD geschaffene Konstrukt einer „konterrevolutionären, terroristischen, trotzkistischen“ Hoelz-Wollenberg-Gruppe an. Tatsächlich stammen die immer wieder kolportierten Hinweise eines Zeugen auf die Ermordung des Hoelz aus dem 1938 im faschistischen Nibelungen-Verlag erschienenen Buch „Der verratene Sozialismus“. Dessen Autor K.I. Albrecht alias Karl Löw arbeitete als Forstexperte in der Sowjetunion und kehrte 1934 nach Deutschland zurück, wo er zum glühenden Hitler-Anhänger mutierte.

 

Tragisch ist der Umgang mit dem antifaschistischen Widerstandskämpfer Wilhelm Knöchel in der Geschichtsschreibung. Ab Januar 1942 bemühte sich der illegal nach Deutschland eingereiste Knöchel, der auf der Berner Konferenz ins ZK der KPD gewählt worden war, um den Aufbau einer neuen operativen Leitung des kommunistischen Widerstands. Am 30. Januar 1943 verhaftete ihn die Gestapo in Berlin. Knöchel wurde am 24. Juli 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Im fünften Band der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ wird Knöchel noch „selbstlose Tätigkeit für die Partei, die Arbeiterklasse und die ganze deutsche Nation“ attestiert. Die Aufnahme in das zugehörige „Biographische Lexikon“ blieb Knöchel allerdings verwehrt, da ihn Hermann Weber inzwischen als Verräter bezeichnete und das Autorenkollektiv des IML in diesem Punkt dem westdeutschen Forscher folgte. Untersuchungen zum antifaschistischen Widerstand von Beatrix Herlemann sowie Heinz Kühnrich konnten diese Anschuldigungen später als unbegründet widerlegen. Doch der „Nestor der Kommunismusforschung“ Weber zeigte sich nicht bereit, ein einmal gefälltes Urteil zu korrigieren. Weiterhin heißt es in „Deutsche Kommunisten“, Knöchel sei ein Verräter gewesen, der sich nach seiner Verhaftung der Gestapo als V-Mann angeboten und Anteil an der Zerschlagung seiner Widerstandsgruppe gehabt habe.

 

Während Weber in der Einleitung einen soziologischen Überblick über das Führungskorps der KPD gibt, enthält der von Herbst verfasste Anhang eine Übersicht über die namentliche Zusammensetzung der Führungsgremien sowie der kommunistischen Reichs- und Landtagsfraktionen.

 

„Deutsche Kommunisten“ wird mit Sicherheit ein Standartwerk für die historische Kommunismusforschung werden. Bei einem Werk dieser Größenordnung lassen sich Fehler nicht vermeiden. Doch wie gezeigt steckt hier der Teufel oft im Detail.

 

Nick Brauns

 

Hermann Weber / Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. Karl-Dietz, Berlin, 960 S., 600 Photos, gebunden, 49,90 €.