junge Welt vom 21.07.2005

 

Inland

Experten unter sich

Deutsch-irakische Wirtschaftskonferenz beriet über Privatisierungen und Investitionen. DDR-Abwicklung als Modell und Kurden als Gewinner

Nick Brauns

 

Für die irakischen Teilnehmer dürfte es ein gewohnter Anblick gewesen sein: Schwerbewaffnete Polizisten, Sprengstoffhunde und Sperrgitter verwandelten drei Tage lang das Münchner Bahnhofsviertel in eine Festung. 600 Polizisten waren nach Aussagen eines Polizeisprechers von Montag bis Mittwoch im Einsatz, um die zweite Deutsch-Irakische Wirtschaftskonferenz zu sichern. Hauptverkehrsstraßen mußten gesperrt und Straßenbahnlinien umgeleitet werden. Das Tagungshotel biete mit unterirdischen Konferenzräumen die nötige Sicherheit, wies ein Sprecher der veranstaltenden Industrie- und Handelskammer (IHK) gegenüber dem Bayerischen Rundfunk Kritik an der Wahl des Tagungsortes zurück.

Rund 250 deutsche und 300 irakische Vertreter aus Wirtschaft und Politik, darunter fünf Minister der irakischen »Regierung«, Vertreter der Bagdader Stadtverwaltung und der kurdischen Regionalregierung, berieten über Investitionsmöglichkeiten im besetzten Zweistromland. Der angekündigte irakische Ministerpräsident Ibrahim el Dschaafari nahm lieber an einer zeitgleich stattfindenden Geberkonferenz in Jordanien teil. Personell am stärksten vertreten war auf deutscher Seite der Elektrokonzern Siemens, der sich bereits mehrere Aufträge zum Kraftwerksbau im Irak sichern konnte.

Erfahrungen der BRD

Der Irak bleibe für Deutschland der wichtigste Markt im arabischen Raum, erklärte der Vorsitzende der IHK für München und Oberbayern, Erich Greipl. Deutsche Technik sei bis heute im Irak vorherrschend. Daran habe auch die »amerikanische Einflußnahme der letzten Jahre« nichts geändert. In den nächsten zwölf Monaten rechnet die IHK mit einem Anwachsen der deutschen Exporte in den Irak auf bis zu einer Milliarde Euro.

Bundeswirtschaftsstaatssekretär Georg Adamowitsch bot Hilfe bei der »Transformation einer zentral gelenkten Kommandowirtschaft der Saddam-Zeit zu einer Marktwirtschaft« an und verwies dabei auf Erfahrungen beim Ausverkauf des DDR-Volkseigentums. In einem Zeitraum von fünf Jahren solle die Privatisierung der staatseigenen Firmen durchgeführt werden, pflichtete ihm Iraks Industrieminister Usama Abdl Al-Asiz Al-Najafi bei.

Von Deutschland lernen will auch der Präsident der staatlichen irakischen Handelsbank Hussein Al-Uzri. In der BRD gebe es umfangreiche Erfahrungen mit Besatzung, Regierungswechsel, Demokratisierung und der Einführung einer marktwirtschaftlichen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall der Berliner Mauer.

Vergessen scheint der Groll einstmals oppositioneller Iraker über die Zusammenarbeit deutscher Firmen mit dem Irak während der Baath-Herrschaft und die Weigerung der Bundesregierung, sich am US-Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Statt dessen hoben viele Redner die lange Tradition deutsch-irakischer Wirtschaftsbeziehungen hervor. Als Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber chemische Erzeugnisse neben Maschinen- und Elektrontechnik als Hauptexportgüter der deutschen Industrie in den Irak während der 80er Jahre nannte, dachte offensichtlich keiner der Teilnehmer mehr an das Giftgas, mit dem 1988 in Halabja Tausende Kurden ermordet wurden.

Kurdische Offerten

Die kurdische Regionalregierung, die durch ihren stellvertretenden Finanzminister und eine Reihe hoher Beamter vertreten war, kann es als Erfolg verbuchen, mit den selben diplomatischen Ehren in München empfangen worden zu sein wie die Vertreter der Bagdader Zentrale. Als Kontaktmann der kurdischen Regierungsmitglieder firmierte offensichtlich der nicht auf der Teilnehmerliste verzeichnete, aber allgegenwärtige ehemalige nordrhein-westfälische Grünen-Abgeordnete Siegfried Martsch, ein langjähriger Busenfreund des kurdischen Präsidenten Massoud Barzani.

Während die Mehrzahl deutscher Unternehmer aufgrund des fortdauernden bewaffneten Widerstands einem Engagement im Süd- und Zentralirak skeptisch gegenüberstehen, dürften die zahlreich vertretenen kurdischen Geschäftsleute zu den Gewinnern der Konferenz gehören. »Die Zentralregierung kann die Sicherheit nicht herstellen. Ich rate ihnen daher, die kurdische Region als Ausgangspunkt zu nehmen. Die kurdische Regierung übernimmt Schutz und Garantien«, lud der stellvertretende Finanzminister der kurdischen Regionalregierung, Abdul Rahim, in den Nordirak ein. Zusätzlich locken fünf Jahre Steuer- und Zollfreiheit. Anschließend gäbe es für ausländische Investoren einen Steuererlaß von 50 Prozent.

 

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Ausdruck erstellt am 23.07.2005 um 10:53:29 Uhr

 

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