junge Welt 06.12.2007 / Feuilleton / Seite 13


Nahaufnahme Guerilla

Hintergründe der kurdischen Frage: Zum Kinostart des Dokfilms »Close Up Kurdistan«

Von Nick Brauns

Der drohende Einmarsch der türkischen Armee in den Nordirak, aber auch die pogromähnlichen Übergriffe rechtsextremer »Grauer Wölfe« auf kurdische Migranten in Deutschland Ende Oktober haben die kurdische Frage hierzulande wieder in die Medien gebracht. Im Vordergrund stehen dabei militärische Aspekte und solche der Sicherheit. Die Frage, warum eigentlich mehrere tausend Guerillakämpferinnen und -kämpfer noch immer in den kurdischen Bergen ausharren, wird selten gestellt.

Antworten ließen sich in Yüksel Yavuz’ Film »Close Up Kurdistan« (Kurdistan in Nahaufnahme) finden. Darin wird nicht über die Kurden gesprochen; Akteure beider Seiten kommen unkommentiert selbst zu Wort. »Ich hatte immer das Gefühl, daß wir hier in Europa von dem permanenten und schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan kaum etwas wissen.« So erklärt Yavuz, dessen Spielfilme »Aprilkinder« und »Kleine Freiheit« auch in Deutschland zu sehen waren, daß er nun diesen Dokumentarfilm gedreht hat.

»Close Up Kurdistan« kommt als persönliche Reise daher. Sie beginnt in Hamburg, wo der 1964 im türkischen Karakocan geborene Regisseur heute lebt, führt über die kurdischen Berge bis ins Flüchtlingslager Maxmur in der nordirakischen Wüste. Yavuz: »Ich wollte begreifen, warum meine Schulfreundin als Guerillakämpferin in die Berge gegangen ist und nicht mehr zurückkam.«

Eine ehemalige Guerillakämpferin, die heute in Europa lebt, erklärt, warum sie sich schon als 14jährige der PKK anschloß. Als Gegenpart erzählt ein ehemaliger Soldat aus Istanbul, wie er sich nach der Grundausbildung plötzlich mitten im Krieg gegen die PKK wiederfand.

Uli Cekdar zog Mitte der 80er Jahre nach Westberlin, um dem Wehrdienst zu entgehen. Als er über kurdische Bekannte von der deutschen Beihilfe zur Unterdrückung der Kurden durch Militärhilfe erfuhr, schloß er sich als einer von mehr als 20 Deutschen eine Zeitlang der PKK-Guerilla an.

Der heute in Schweden lebende ehemalige Konterguerilla-Aktivist Abdulkadir Aygan schildert freimütig, wie er vom Militärgeheimdienst JITEM beauftragt wurde, Oppositionelle umzubringen. Aufgrund seiner Aussagen konnten mehrere Morde »unbekannter Täter« aufgeklärt werden, die Existenz dieses Geheimdienstes wird aber vom türkischen Staat weiterhin geleugnet. Erst vor wenigen Wochen erschoß ein JITEM-Kommando in der Provinz Sirnak zwölf kurdische Arbeiter.

Ein Höhepunkt des Films ist das Gespräch mit dem sonst die Öffentlichkeit meidenden türkischen Soziologen Ismail Besikci. Er saß insgesamt 17 Jahre im Gefängnis, weil er in seinen Forschungsarbeiten als einer der ersten offen über die Existenz der Kurden schrieb – zu einer Zeit, als diese nur »Bergtürken« genannt wurden. Besikci prägte für das auf die Türkei, Iran, Irak und Syrien aufgeteilte Kurdistan den Begriff einer »internationalen Kolonie« und widersprach damit vielen türkischen Linken, die leugneten, daß ein nichtimperialistischer Staat wie die Türkei als Kolonialmacht auftreten kann.

»Der Krieg fängt schon in den Köpfen an, bevor man zu den Waffen greift«, sagt Yavuz, »mir war immer klar, daß die Assimilationspolitik des türkischen Staates das Grundübel dieses Konflikts ist; die Aberkennung der Existenz eines Volkes, seiner Sprache, seiner Kultur – die Verleugnung.«

Zwischen den Interviews gibt es lange Kamerafahrten durch die Städte und Landschaften Kurdistans, begleitet von stimmungsvoller Musik wie dem in der Türkei verbotenen Stück »Kece Kurdistan« der durch Fatih Akins Musikfilm »Crossing the Bridge« auch einem deutschen Publikum bekanntgewordenen Sängerin Aynur Dogan.

Zusammen mit dem Regisseur lernt der Zuschauer Schritt für Schritt im Gespräch mit den Interviewpartnern die verschiedenen Facetten der kurdischen Frage kennen. In unaufdringlicher Weise, ohne Propaganda, klärt »Close Up Kurdistan« über die Hintergründe eines Konfliktes auf, dessen Lösung für den Frieden im Mittleren Osten so zentral ist wie die Palästina-Frage. Der richtige Film zur richtigen Zeit.

»Close Up Kurdistan«, BRD 2007, Regie: Yüksel Yavuz, 104 Minuten, Kinostart 6.12.2007