Kein deutscher Oktober
Josef Schwarz` Buch über die
linkssozialistische Regierung Frölich in Thüringen 1923
Von Nick Brauns
Das Jahr 1923 markiert einen Wendepunkt in der
Geschichte der Weimarer Republik und des deutschen wie internationalen
Kommunismus. Mit der Niederschlagung des Hamburger Aufstandes endete die
revolutionäre Nachkriegskrise, schon 1924 setzte sowohl eine wirtschaftliche
wie politische Stabilisierung ein. Noch im Oktober 1923 herrschte eine
erstaunliche Übereinstimmung zwischen der Spitze der Kommunistischen
Internationale und den deutschen Monopolherren, dass eine sozialistische
Revolution unmittelbar bevorstände. In der bürgerlichen wie der DDR-offiziellen
Geschichtsschreibung wurden die in Mitteldeutschland gebildeten
Arbeiterregierungen aus SPD und KPD zum tragenden Element der revolutionären
Strategie hochstilisiert.
Die Untersuchung "Die linkssozialistische
Regierung Frölich in Thüringen 1923 - Hoffnung und Scheitern" des
Thüringer Juristen Josef Schwarz ist eine notwendige Korrektur der bisher auf
bürgerlicher wie staatskommunistischer Seite angesammelten Legenden über die
Arbeiterregierungen von 1923. Schwarz schlägt dabei den Bogen von der
Novemberrevolution bis zum Ende der Weimarer Republik.
Schon die 1921 gebildete linkssozialistische
Regierung aus SPD und USPD unter Ministerpräsident August Frölich war eine von
der KPD-Fraktion kritisch tolerierte Minderheitsregierung. Frölich konnte auf
die Stimmen der KPD nur zählen, wenn seine Gesetzesvorhaben den Interessen der
Werktätigen dienten. Dies war vor allem im Schulbereich der Fall. Nach der
Devise Wilhelm Liebknechts "Wissen ist Macht - Macht ist Wissen"
setzte der Minister für Volksbildung Max Greil (USPD) ein umfangreiches
Reformpaket um, das eine Trennung von Schule und Kirche und die Einführung
einer vierstufigen Einheitsschule. Per Notgesetz wurde gegen den erbitterten
Widerstand der Konservativen der Buß- und Bettag als staatlicher Feiertag
abgeschafft und dafür der 9.November als Revolutionsfeiertag eingeführt. Auch
im Kampf gegen die Standesvorrechte des Adels preschte die kommunistisch
gestützte sozialistische Regierung voran.
Die KPD hatte 1923 im Rahmen der
Einheitsfrontpolitik ihre grundsätzliche Zustimmung zur Bildung sogenannter
Arbeiterregierungen aus KPD und SPD erklärt. Diese Arbeiterregierungen seien
weder eine Vorwegnahme der Diktatur des Proletariats noch der friedliche
parlamentarische Weg zum Sozialismus, sondern "ein Versuch der
Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen
Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische
Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben, während die proletarische
Diktatur bewusst den Rahmen der Demokratie sprengt, den demokratischen
Staatsapparat zerschlägt, um ihn völlig durch proletarische Staatsorgane zu
ersetzen." Schon aus dieser kurzen Definition wird deutlich, wie verfehlt
es ist, in der SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern eine solche Arbeiterregierung
zu sehen. So ist die PDS keine revolutionäre Partei und es fehlt zudem jegliche
außerparlamentarische Massenbewegung, auf die sich die Regierung stützen
könnte. Anders war die Situation im Jahr 1923 in Mitteldeutschland. Dort
bildeten sich Proletarische Hundertschaften aus Kommunisten, Sozialdemokraten
und parteilosen Arbeitern gegen die faschistische Gefahr, die vor allem aus dem
benachbarten Bayern drohte. In vielen Städten gab es Aktionsausschüsse aus
Gewerkschaftern und Vertretern der Arbeiterparteien. In dieser Situation erging
von der Zentrale der KPD die Weisung an die sächsischen und thüringischen
Kommunisten, in die Landesregierungen einzutreten. In Sachsen bildete sich am
11.Oktober unter dem Sozialdemokraten Zeigner eine Arbeiterregierung, der zwei
Kommunisten als Minister angehörten. Der KPD-Vorsitzende Brandler wurde
Ministerialdirektor der Staatskanzlei. Am 16.Oktober stellte auch August
Frölich in Thüringen sein neues Kabinett vor. Die KPD stellte mit dem Juristen
Karl Korsch den Justizminister und mit Albin Tenner den Wirtschaftsminister.
Das von beiden Parteien beschlossene Programm verpflichtete die Thüringer
Arbeiterregierung, "im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten
eine Politik zu treiben und im Reiche auf eine Politik hinzustreben, die den
Interessen der arbeitenden Bevölkerung dient. Grundlage dieser proletarischen
Politik muß eine Sicherstellung der Existenz der werktätigen Bevölkerung und
der entschiedenste Kampf gegen Faschismus, Revanchepolitik, Reaktion und
verfassungswidrige Militärdiktatur sein." Zum Schutze der Verfassung
sollten republikanische Notwehren geschaffen, die Polizeiorgane unter die
Leitung zuverlässiger Beamter gestellt und die nationalistischen
Geheimorganisationen bekämpft werden. Schon dieses völlig im Rahmen der
verfassungsgemäßen Ordnung liegende Programm löste bei den Spitzen des
Monopolkapitals Panik aus. "Sachsen und Thüringen exekutieren. Kein Tag
darf verloren gehen, sonst wird die Straße das Kabinett Stresemann
stürzen" forderte etwa Hugo Stinnes. Mit den Stimmen der SPD hatte der
Reichstag ein Ermächtigungsgesetz beschlossen, das in einer Militärdiktatur des
Reichswehrgenerals von Seeckt gipfelte. Da sich der sächsische
Ministerpräsident Zeidler weigerte, die proletarischen Hundertschaften
aufzulösen, marschierte die Reichswehr am 21. Oktober in Sachsen ein und setzte
die Regierung ab. Auch die Thüringer Regierung wurde wegen der kommunistischen
Minister von der Reichsregierung als verfassungsfeindlich angesehen.
Angeblich zum Schutze Thüringens wurden auch an der
bayerisch-thüringischen Grenze Truppen zusammengezogen, die sich allerdings
nicht gegen die völkischen Wehrverbände aus Bayern stellten, sondern nach
Thüringen einmarschierten. Im Rahmen der Reichsexekution kam es zu blutigen
Übergriffen gegen die Arbeiterschaft. Ein Sprecher des Thüringischen
Innenministeriums sprach von 300 verhafteten, 34 ermordeten und 130 verletzten
Bürgern. Die Presse der KPD wurde verboten, ihre Büros gestürmt und selbst die
Wohnung des Justizministers Korsch durchsucht. Als die KPD sich in der
Regierung nicht mit der Ausrufung des Generalstreiks durchsetzen konnte, legten
die kommunistischen Minister am 12. November die Ämter nieder. Das Experiment
der Arbeiterregierung war - unter dem Druck der konterrevolutionären Truppen -
gescheitert. Von nun an waren die Arbeiterparteien von der Macht in Thüringen
verdrängt, "es begann der Sturz in den Faschismus". Es ist kein
Zufall, dass in Thüringen die NSDAP ihre ersten Erfolge feiern konnte, begünstigt
durch die reaktionäre Ordnungsbundregierung Leutheußer die auf das Scheitern der linkssozialistischen
Frölich-Regierung folgen.
"Die Kommunisten, die sich an der Regierung
beteiligten, hätten ihre Positionen vor allem zur Bewaffnung des Proletariats
ausnützen müssen. Sie haben das nicht gemacht. [...] Überhaupt verhielten sie
sich wie gewöhnliche parlamentarische Minister im Rahmen der bürgerlichen
Demokratie" kritisierte später Georgi Dimitroff und gab damit die auch in
den Geschichtsbüchern der DDR gültige Linie vor. Diese Darstellung widerlegt
Josef Schwarz. Er zeigt auf, wie weltfremd im Herbst 1923 die
Kominternexekutive unter Sinowjew dachte, als sie quasi am grünen Tisch den
"Deutschen Oktober" terminierten und die zum Teil nur mit Gummiknüppeln
bewaffneten proletarischen Hundertschaften gegen die schwerbewaffnete
Reichswehr ins Felde führen wollten. "Wie noch mehrmals in der deutschen
Geschichte wurden die deutschen Kommunisten, als treue Anhänger der
Sowjetunion, für das bestraft, was in Moskau erdacht worden war", so
Schwarz.
Ergänzt wird das Buch durch eine Biographie Frölichs
und weiterer Politiker. Die linken Sozialdemokraten August Frölich und Erich
Zeigner blieben dem Gedanken der Einheit der Arbeiterparteien im Übringen treu.
Nach dem Krieg wirkten beide auf die Gründung der Sozialistischen
Einheitspartei hin, in der sie Ämter übernahmen.
Josef Schwarz: Die linkssozialistische Regierung
Frölich in Thüringen - Hoffnung und Scheitern
GNN-Verlag Schkeuditz, 2000, 286 Seiten, DM 25.-