Junge Welt 03.01.2009 / Geschichte / Seite 15

Einsatz der Bluthunde

Januar 1919: Regierung Ebert ließ einen von ihr provozierten Aufstand niederschlagen

Von Nick Brauns

Als »Spartakus-Aufstand« gingen die Berliner Januarkämpfe 1919 in die bürgerliche Geschichtsschreibung ein. Der Name täuscht, denn weder handelte es sich um einen von langer Hand geplanten kommunistischen Aufstand noch war die gerade gegründete Kommunistische Partei (Spartakusbund) die treibende Kraft.

Da sich die Reste der aus dem Krieg heimgekehrten Armee schon beim Angriff auf die revolutionäre Volksmarinedivision im Berliner Stadtschloß zu Weihnachten 1918 als unzuverlässig erwiesen hatten, wurde in den letzten Dezembertagen mit der Aufstellung von Freiwilligeneinheiten begonnen. Auch die SPD-Zeitung Vorwärts rief zur Bildung solcher Freikorps auf, in denen sich kaiserliche Offiziere, Abenteurer und Kriminelle, Verbindungsstudenten und verhetzte Landbevölkerung sammelten. Das Oberkommando über die rechtsextremen Verbände nahm der sozialdemokratische Volksbeauftragte für Heer und Marine, Gustav Noske, mit den Worten entgegen: »Meinetwegen! Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!«

SPD provoziert

So brauchten die in den westlichen Berliner Vororten aufmarschierten »weißen« Truppen nur noch einen Vorwand, um mit dem Blutbad zu beginnen. Die revolutionären Arbeiter und Soldaten sollten zu unvorbereiteten Aktionen provoziert werden, um diese rechtzeitig vor der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar militärisch niederzuschlagen. Für diese Provokation sorgte das sozialdemokratische preußische Innenministerium am 4. Januar mit der Absetzung des linkssozialistischen Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, der den Einsatz der Polizei gegen links stehende Arbeiter verweigert hatte. »Die Regierung Ebert-Scheidemann will damit nicht nur den jetzigen Vertrauensmann der revolutionären Berliner Arbeiterschaft beseitigen, sondern vor allem in Berlin ein Gewaltregiment gegen die revolutionäre Arbeiterschaft aufrichten«, warnten die Unabhängige Sozialdemokratie (USPD), die Kommunistische Partei und die in den Großbetrieben verankerten Revolutionären Obleute in einem gemeinsamen Protestaufruf gegen Eichhorns Absetzung. Am Nachmittag des 5. Januar zogen hunderttausend teilweise bewaffnete Arbeiter und Soldaten vom Brandenburger Tor zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz, wo vom Balkon die USPD-Politiker Ernst Däuming und Georg Ledebour, KPD-Vertreter Karl Liebknecht sowie der abgesetzte Polizeipräsident Eichhorn zu den Massen sprachen. Die Forderungen der Demonstranten lauteten: Entwaffnung der Konterrevolution, Bewaffnung des Proletariats, Bildung einer Roten Garde und Sturz der Regierung Ebert.

»Auf zum Vorwärts«, hieß es plötzlich. Tausende Demonstranten folgten dieser vermutlich von einem Provokateur ausgegebenen Losung. Das Gebäude des SPD-Blattes, dessen Hetze gegen den »Spartakismus« sich von Tag zu Tag verstärkt hatte, sowie bürgerliche Verlagshäuser im Zeitungsviertel rund um die Kochstraße wurden von revolutionären Arbeitern, Soldaten und Jugendlichen besetzt und Barrikaden aus Papierballen errichtet.

Die Zentrale der Kommunistischen Partei hatte diese Eskalation der Proteste nicht gewollt. Rosa Luxemburg und ihren Genossen war bewußt, daß die Kommunisten landesweit noch nicht über eine ausreichende Verankerung unter der Arbeiterklasse verfügten und ein übereilter Sturz der durch eine Mauschelei zwischen rechten Sozialdemokraten und Monarchisten entstandenen Regierung das rote Berlin im Reich isolieren würde. Doch beeindruckt von der Massendemonstration sahen die Revolutionären Obleute, der Zentralvorstand der USPD sowie die ohne Rücksprache mit ihrer Partei handelnden KPD-Vertreter Liebknecht und Wilhelm Pieck den Zeitpunkt gekommen, um zur Eroberung der »Macht des revolutionären Proletariats« aufzurufen.

Zur Leitung dieses Kampfes bildete sich ein 33köpfiger Aktionsausschuß unter dem Vorsitz von Liebknecht, Ledebour und dem Revolutionären Obmann Paul Scholze.

Noske befiehlt Angriff

Nach dem Aufruf des Aktionsausschusses trat am 6. Januar ein Großteil der Berliner Arbeiterschaft in einen Generalstreik. Eine halbe Million Arbeiter und Soldaten demonstrierte in der Berliner Innenstadt. Strategisch wichtige Gebäude wie Bahnhöfe, die Reichsdruckerei und das Haupttelegraphenamt wurden besetzt. »Die Regierung Ebert-Scheidemann hat sich unmöglich gemacht. Sie ist von dem unterzeichnenden Revolutionsausschuß der Vertretung der revolutionären sozialistischen Arbeiter und Soldaten (USPD und KPD) für abgesetzt erklärt«, hieß es in einer schnell von Wilhelm Pieck verfaßten Erklärung. In einem Handstreich sollte die Reichsregierung verhaftet und eine neue Regierung durch Liebknecht, Ledebour und Scholze gebildet werden. »Karl, ist das unser Programm?«, rief Rosa Luxemburg entsetzt aus, als sie diese putschistische Erklärung zu lesen bekam. Das Papier wurde in mehreren Kasernen verlesen, doch die Berliner Truppenteile waren nicht bereit, sich auf das Abenteuer einzulassen. Selbst die Volksmarinedivision, deren Sprecher Heinrich Dorrenbach dem Aktionsausschuß angehörte, erklärte ihre Neutralität. Da begannen die Vertreter der USPD und der Revolutionären Obleute zu schwanken und boten der Regierung Verhandlungen an. Dies war illusorisch, denn schließlich hatte diese genau auf einen solchen verfrühten Aufstand der revolutionären Kräfte gesetzt, um ihre Bluthunde zum Einsatz zu bringen. »Entscheidende Handlungen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen«, hieß es in einem Aufruf der Regierung: »Die Stunde der Abrechnung naht!« Jetzt konnte es für die Revolutionäre nur noch darum gehen, die Verteidigung der Berliner Arbeiter zu organisieren. Die KPD rief daher zur Bildung von »Roten Garden« auf und zog angesichts des Einknickens der USPD Liebknecht und Pieck aus dem Aktionsausschuß zurück.

Am 8. Januar gab Noske den Befehl zum Angriff. Die Berliner Arbeiter reagierten am folgenden Tag mit einem Generalstreik unter der Losung »Kein Brudermord«. Die Noske-Truppen besetzten am 10. Januar die Druckerei des KPD-Zentralorgans Rote Fahne und begannen am folgenden Tag mit der Beschießung des besetzten Vorwärts-Gebäudes durch Feldgeschütze und Minenwerfer. Sieben Parlamentäre wurden kaltblütig ermordet. Nach dem Fall des Vorwärts-Gebäudes zogen sich die Besetzer der anderen Gebäude über die Hausdächer zurück und entgingen so größtenteils der Verhaftung. Am 12. Januar fanden die letzten Kämpfe um das Berliner Polizeipräsidium statt. Über Berlin wurde der Belagerungszustand verhängt. In den Arbeitervierteln wütete der weiße Terror der Freikorps. Tausende Arbeiter wurden verhaftet und mißhandelt. Arbeiter, bei denen Waffen oder die Mitgliedskarte der KPD gefunden wurden, wurden sofort erschossen. Am 15. Januar fielen auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in die Hände der Garde-Kavallerie-Schützendivision und wurden noch in derselben Nacht grausam ermordet.

Quellentext.

Erlaß des Oberbefehlshabers Gustav Noske vom 11. Januar 1919

Arbeiter! Soldaten! Bürger! Heute um ein Uhr sind 3 000 Mann mit starker Artillerie und Maschinengewehren durch Berlin und Charlottenburg marschiert. Die Regierung hat durch sie gezeigt, daß sie die Macht hat, euren Willen durchzusetzen, der von ihr ein Ende der Räubereien und des Blutvergießens verlangt. Auch hofft sie noch, daß ihre feste Entschlossenheit den Terror abschrecken wird, daß die Spartakisten einen Kampf um die geraubten Gebäude nicht aufnehmen, sondern die Schauplätze ihrer Schandtaten räumen werden. Täuscht diese Hoffnung auf Besinnung im letzten Augenblick, dann ist die Geduld der Regierung ebenso wie eure erschöpft. Ihr müßtet sie wegjagen, wenn sie auch nur einen Tag noch zögerte. Im Osten plündern spartakistische Banden im Auto mit vorgehaltenem Revolver die Straßen, ein Haus ums andere, während die Eichhornschen Sicherheitswehrmänner Wache stehen. Die letzte Maske, als handle es sich um eine politische Bewegung, ist gefallen. Raub und Plünderung entpuppt sich als letztes und einziges Ziel der Aufrührer. Arbeiter! Die Reichsregierung hat mir die Führung der republikanischen Soldaten übertragen. Ein Arbeiter steht also an der Spitze der Macht der sozialistischen Republik. Ihr kennt mich und meine Vergangenheit in der Partei. Ich bürge euch dafür, daß kein unnützes Blut vergossen wird. Ich will säubern, nicht vernichten! Ich will euch mit dem jungen republikanischen Heer die Freiheit und den Frieden bringen. Die Einigkeit der Arbeiterklasse muß gegen Spartakus stehen, wenn Demokratie und Sozialismus nicht untergehen sollen.

aus: Harald von Koenigswald, Revolution 1918, Breslau 1933, S. 217 f.