Blonde Recken

 

Eine Ausstellung in Wolfenbüttel befasst sich mit dem Missbrauch der Archäologie durch den Nationalsozialismus

 

Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg im Osten fand seine ideologische Untermauerung in der These von der angebliche Überlegenheit des nordisch-germanischen Menschen über andere Völker. Dieser Herrschaftsanspruch über andere „Rassen“ sollte durch archäologische Funde quasireligiös untermauert werden. „Unsere Ergebnisse der Vorgeschichtsforschung sind das Alte Testament des deutschen Volkes“, hieß es. Mit diesem „inszenierten Germanentum“ befasst sich jetzt eine Sonderausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums in Wolfenbüttel. Präsentiert werden in der noch bis zum 27. Februar 2005 geöffneten Ausstellung unter anderem Originalexponate aus dem von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken geschaffenen „Haus der Vorzeit“ in Braunschweig.

 

Eine wesentliche Rolle beim Missbrauch der Archäologie für die nationalsozialistische Propaganda spielte der Braunschweiger Ministerpräsident Dietrich Klagges. Noch als Minister für Inneres und Volksbildung hatte er in Januar 1932 dem Österreicher Adolf Hitler durch eine Anstellung als Regierungsrat die deutsche Staatsbürgerschaft verschafft. Als im Rahmen einer Reichsreform der Anschluss Braunschweigs an Preußen drohte, setzte sich Klagges für die Begründung eines Reichsgaus „Ostfalen“ mit Braunschweig als Gauhauptstadt ein, um seinen Posten nicht zu verlieren. Zur ideologischen Untermauerung dieses Anspruchs wurde die Stelle eines Landesarchäologen geschaffen. Dieser hatte nach germanischen Kultplätzen im Raum Braunschweig zu suchen und dem Gebiet eine besondere Bedeutung für die Geschichte des deutschen Volkes zukommen zu lassen.

 

Erster Landesarchäologe wurde der in der Weimarer Republik wegen rassistischer Schriften aus dem Schuldienst entlassene Philologe Hermann Hofmeier. 1935 wurde das Grab von Heinrich dem Löwen geöffnet. Allerdings verwechselten die Archäologen das Skelett von Heinrich mit dem seiner Frau Mathilde. Da diese mit ihrer Körpergröße von 1,62 Metern nicht dem Ideal vom arischen Recken entsprach, schwiegen sich die Naziarchäologen über die Graböffnung weitgehend aus. Nach dem überraschenden Tod von Hofmeister wurde Anfang 1937 Dr. Alfred Tode zu dessen Nachfolger als Landesarchäologe ernannt.

 

Ministerpräsident Klagges, der als Haupttheoretiker des nationalsozialistischen Geschichtsunterrichts gilt, betraute Tode mit dem Erteilen „der notwendigen Kurse in Vorgeschichte“ im Rahmen der Lehrerausbildung. Im 1936 verfassten Standardwerk „Geschichtsunterricht als nationalpolitische Erziehung“ hatte Klagges erklärt, Aufgabe der Schulen sei die Erziehung zur  „richtigen Gesinnung“ und zur Begeisterung für die nationalsozialistische Bewegung. „In unserer nationalpolitischen Erziehung hat die Geschichte nur so weit Raum, wie sie deutsches Volksschicksal ist.“ Auf wissenschaftliche Aussagen und Zusammenhänge wurde bei dieser Zielsetzung kein Wert gelegt. Andere frühere Hochkulturen wurden totgeschwiegen, um die überragende „Kulturhöhe des germanischen Bauernvolks“ zu beweisen. Wo es keine archäologischen Beweise gab, wurden die fehlenden Puzzlestücke im Sinne der Naziideologie künstlich ergänzt. Bekanntes Beispiel für diese Geschichtsfälschung sind die bis heute von Esoterikern und Neonazis vielbesuchten Externsteine in Lippe, die von den Nationalsozialisten mit baulichen Maßnahmen zum „germanischen Stonehenge“ umgestaltet wurden, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen keine Beweise für eine kultische Nutzung des Naturdenkmals erbringen konnten.

 

Hauptaufgabe Todes wurde 1937 die Errichtung eines „Hauses der Vorzeit“ im ehemaligen Hotel „Wilhelmsgarten“ in der Braunschweiger Wilhelmstrasse. Dieses Museum für germanische Archäologie sollte erzieherisch und motivierend die nationalsozialistische Ideologie von der herausragenden Kulturhöhe des Urgermanentums, seiner zeitlichen Priorität gegenüber anderen frühen Hochkulturen, seiner politisch-historischen Leistungen sowie seiner Werte wie Führertreue und Sippenmoral vermitteln. „Die Ausstellung soll die Barbarenlüge über die Germanen in ihren letzten Resten und Auswirkungen beseitigen.“.

 

Eine „Ehrenhalle der Vorzeit“ statt einer wissenschaftlichen „Schulausstellung“ sollte das „Haus der Vorzeit“ nach dem Willen Todes sein. Statt der bisher üblichen reinen zur Schau Stellung archäologischer Exponate wurden materialechte Nachbildungen, Geräterekonstruktionen, Landschafts- und Lebensbilder erstellt. Museumspädagogisch war diese Methode revolutionär. Doch sie bot auch die Möglichkeit zur Suggestion wissenschaftlich falscher Behauptungen. „Germanischer Kampfgeist mit dem Willen, neues Siedlungsland zu gewinnen und urbar zu machen, und germanische Stammes- und Bodentreue mit dem Willen, den Lebensraum artgemäß zu gestalten und für die Enkel zu verteidigen, begründeten die germanische Vorherrschaft in Europa.“ So lautete die Erläuterung einer lebensgroß nachgestellten Dorfszenerie, in der ein blonder, blauäugiger Krieger seinen Sohn in den Waffengebrauch einweist.

 

Doch manchmal wurden selbst Tode die ideologischen Vorgaben von Ministerpräsident Klagges unheimlich. Von einer „ur-arischen Zeit“, wie es Klagges angeordnet hatte, war in der Ausstellung nicht die Rede. Stattdessen sprachen Tode und seine Mitarbeiter von der indogermanischen oder der nordischen Großsteingräberkultur. In seinem Entnazifizierungsfragebogen führt der Landesarchäologe später „sachlichen Differenzen“ an, weil er seine „fachlich wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht zu Gunsten von politischen Thesen verbiegen lassen wollte“. Typische Gegenstände der Auseinandersetzung sei beispielsweise die in den Augen Klagges zu geringe Größe der in der Ausstellung nachgebauten germanischen Häuser so wie deren zu primitive Bauweise gewesen. Tode hatte sich hier an archäologischen Beweisen orientiert. Doch auch unter seiner Leitung stellte die Ausstellung jungsteinzeitliche Rechteckbauten als Vorläufer griechischer Tempel da.

 

 In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 endete der Germanenspuk in Braunschweig unter den Trümmern, die alliierte Bomber vom „Haus der Vorzeit“ übrig ließen.

 

Alfred Tode wurde im Entnazifizierungserfahren im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen als „entlastet“ eingestuft und stieg später zum Leiter des Braunschweiger Landesmuseums auf. Noch bis in die 60er Jahre hinein formten die von W. Petersen für das „Haus der Vorzeit“ gemalten „Lebensbilder“ der heroischen blonden Recken auch in bundesdeutschen Schulbüchern das Germanenbild unzähliger Schüler. Dass die Germanenmythen bis heute weiterleben, bewies der „SPIEGEL“ anlässlich des Fundes der Himmelsscheibe von Nebra. In einer Titelstory mit der Schlagzeile „Der Sternenkult der Ur-Germanen“ (48/2002) griff das Nachrichtenmagazin die aus der NS-Zeit stammende These von den Externsteinen als germanischem Kultplatz wieder auf.

 

Nick Brauns

 

Inszeniertes Germanentum – Das archäologische Museum „Haus der Vorzeit“ 1937-1944.

Braunschweigisches Landesmuseum. Abteilung Ur- und Frühgeschichte, Kanzleistrasse 3 38300 Wolfenbüttel

 

Junge Welt 27.11.2004 Wochenendbeilage

 

Germanenkult  

Die wieder rührige deutsche Ur- und Frühgeschichte zeigt in Wolfenbüttel die Ausstellung»Inszeniertes Germanentum«. Da recken blonde Recken sich wieder  

 

Der Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht im Osten fand seine ideologische Unterfütterung in der These von der Überlegenheit des nordisch-germanischen Menschen über andere Völker. Zur Rechtfertigung dieses Herrschaftsanspruchs über andere »Rassen« wurden gern archäologische Funde bemüht. Ihre Botschaft: »Unsere Ergebnisse der Vorgeschichtsforschung sind das Alte Testament des deutschen Volkes.« Mit solcherart »inszeniertem Germanentum« befaßt sich derzeit eine Sonderausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums in Wolfenbüttel. Präsentiert werden in der noch bis zum 27. Februar 2005 geöffneten Ausstellung auch Originalexponate aus dem von den Nazis zu Propagandazwecken geschaffenen »Haus der Vorzeit« in Braunschweig.

Zum konjunkturellen Aufschwung, den Ur- und Frühgeschichte mit den Bedürfnissen und Aufträgen der Nazipropaganda erlebte, hat der Braunschweiger Ministerpräsident Dietrich Klagges Wesentliches beigetragen. Noch als Minister für Inneres und Volksbildung hatte er im Januar 1932 dem Österreicher Adolf Hitler durch eine Anstellung als Regierungsrat zur deutschen Staatsbürgerschaft verholfen. Als im Rahmen einer Reichsreform der Anschluß Braunschweigs an Preußen drohte, setzte sich Klagges für die Begründung eines Reichsgaus »Ostfalen« mit Braunschweig als Gauhauptstadt ein, um seinen Posten nicht zu verlieren. In der Folge wurde die Stelle eines Landesarchäologen geschaffen. Dessen Aufgabe bestand darin, germanische Kultplätze im Raum Braunschweig ausfindig zu machen und eine besondere Bedeutung des Gebietes in der Geschichte des deutschen Volkes zu begründen.

Wider die »Barbarenlüge«

Erster Landesarchäologe wurde der in der Weimarer Republik wegen rassistischer Schriften aus dem Schuldienst entlassene Philologe Hermann Hofmeister. Er ließ 1935 unter anderem das Grab Heinrichs des Löwen öffnen. Allerdings verwechselten die Archäologen das Skelett Heinrichs mit dem seiner Frau Mathilde, die mit ihrer Körpergröße von 1,62 Metern nicht ganz dem Ideal eines arischen Recken entsprach. Insofern schwiegen sich die Naziarchäologen über die Graböffnung weitgehend aus. Nach dem überraschenden Tod Hofmeisters wurde Anfang 1937 Dr. Alfred Tode sein Nachfolger als Landesarchäologe.

Ministerpräsident Klagges, der inzwischen als Haupttheoretiker des nazistischen Geschichtsunterrichts galt, vertraute Tode das Erteilen »der notwendigen Kurse in Vorgeschichte« im Rahmen der Lehrerausbildung an. In seinem 1936 verfaßten und dann zum »Standardwerk« mutierten »Geschichtsunterricht als nationalpolitische Erziehung« hatte Klagges erklärt, Aufgabe der Schulen sei die Erziehung zur »richtigen Gesinnung« und zur Begeisterung für die Nazibewegung. »In unserer nationalpolitischen Erziehung hat die Geschichte nur so weit Raum, wie sie deutsches Volksschicksal ist.« Andere frühe Kulturen hatten unter diesem Diktum, unter dem die »Kulturhöhe des germanischen Bauernvolks« beschworen wurde, keine Chance. Und wo es keine »archäologischen Beweise« gab, wurde das Puzzle ergänzt. Bekanntes Beispiel für diese Geschichtsfälschung sind die bis heute von Esoterikern und Neonazis gern besuchten Externsteine in Lippe, die die NSDAP zum »germanischen Stonehenge« umgestaltet hatte, auch wenn kein Wissenschaftler einen Beweis für eine kultische Nutzung des Naturdenkmals je hatte erbringen können.

Hauptaufgabe Todes wurde 1937 die Errichtung eines »Hauses der Vorzeit« im ehemaligen Hotel »Wilhelmsgarten« in Braunschweig. Dieses Museum für germanische Archäologie sollte allen Ernstes die kulturelle Überlegenheit des Urgermanentums, seiner »zeitlichen Priorität« gegenüber anderen frühen Hochkulturen« vermitteln. So wollte die Ausstellung endlich die »Barbarenlüge über die Germanen beseitigen«.

Vorgespielte Authentizität

Eine »Ehrenhalle der Vorzeit« zeigte materialechte Nachbildungen von Geräten und von Landschafts- und Lebensbildern. Museumspädagogisch war die Methode revolutionär, zugleich aber bot sie die Möglichkeit, Authentizität zu suggerieren. Die Erläuterung einer lebensgroß nachgestellten Dorfszenerie, in der ein blonder, blauäugiger Krieger seinen Sohn in den Waffengebrauch einweist, lautet zum Beispiel: »Germanischer Kampfgeist mit dem Willen, neues Siedlungsland zu gewinnen und urbar zu machen, und germanische Stammes- und Bodentreue mit dem Willen, den Lebensraum artgemäß zu gestalten und für die Enkel zu verteidigen, begründeten die germanische Vorherrschaft in Europa.«

In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 endete der Germanenspuk in Braunschweig unter den Trümmern, die alliierte Bomber vom »Haus der Vorzeit« übrigließen. Alfred Tode wurde im Entnazifizierungsverfahren im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen als »entlastet« eingestuft und stieg später zum Leiter des Braunschweiger Landesmuseums auf. Noch bis in die 60er Jahre hinein formten die von W. Petersen für das »Haus der Vorzeit« gemalten »Lebensbilder« der heroischen blonden Recken auch in bundesdeutschen Schulbüchern das Germanenbild. Zur Wiederbelebung dieser Mythen trug der Spiegel anläßlich des Fundes der Himmelsscheibe von Nebra bei. In einer Titelstory mit der Schlagzeile »Der Sternenkult der Ur-Germanen« (48/2002) griff das Nachrichtenmagazin aus Hamburg die Nazithese von den Externsteinen als germanischem Kultplatz wieder auf.

 

Nick Brauns  




QUELLENTEXT. TACITUS: GERMANIA. ETWA AUS DEM JAHRE 98

18. Gleichwohl sind die Ehen dort streng, und in keinem Punkt möchten ihre Sitten mehr zu loben sein. Denn sie sind fast die einzigen unter den Barbaren, die sich mit einem Weibe begnügen, äußerst wenige ausgenommen, mit denen, nicht aus Sinneslust, sondern um ihres Adels willen, von allen Seiten Eheverbindungen gesucht werden.

Mitgift bringt nicht das Weibe dem Manne, sondern der Mann dem Weibe zu. Zugegen sind Eltern und Verwandte und mustern die Geschenke, die nicht zu Weibertändeleien, nicht zum Putz der Neuvermählten auserlesen sind, sondern es werden Rinder, ein aufgezäumtes Roß und ein Schild nebst Frame und Schwert geschenkt. Gegen solche Geschenke wird die Gattin in Empfang genommen, und sie selbst bringt ihrem Manne auch ein Waffenstück. Dies gilt ihnen als das stärkste Band, dies als geheimnisvolle Weihe, dies als die Götter des Ehebundes. Damit sich nicht die Frau von allen Gedanken an männliche Tugenden und von allen Kriegsschicksalen ausgeschlossen wähne, wird sie schon durch die Vorzeichen der beginnenden Ehe daran erinnert, sie komme als Gefährtin von Beschwerden und Gefahren, werde im Frieden und im Kampfe gleiches dulden und gleiches wagen. Damit muß sie leben, damit muß sie sterben; sie empfängt, was sie ihren Kindern unentweiht übergeben muß, und was wert ist, daß ihre Schwiegertöchter es empfangen und es auch so auf die Enkel komme.

19. So leben sie denn in wohlbeschirmter Keuschheit und durch keine Lockungen von Schauspielen, keine Reizungen von Gastmählern verführt. Die Heimlichkeiten der Briefe sind den Männern so gut wie den Frauen unbekannt. Sehr selten für ein so zahlreiches Volk ist der Ehebruch, dessen Bestrafung unverzüglich geschieht und den Gatten überlassen bleibt. Vor den Augen ihrer Verwandten jagt sie der Ehemann, entblößt und mit abgeschnittenem Haupthaare, aus dem Hause und treibt sie mit einer Geißel durch das ganze Dorf. Preisgegebener Keuschheit gewährt man vollends keine Verzeihung; nicht durch Schönheit, nicht durch Jugend, nicht durch Reichtum fände ein solches Weib einen Mann. Denn hier lacht niemand über das Laster, und verführen und sich verführen lassen, nennt man nicht den Geist der Zeit. Noch besser freilich sind die Volksstämme, in welchen nur Jungfrauen sich verheiraten, und es mit der Hoffnung und dem Gelübde der Gattin bei einem Male sein Bewenden hat. So empfangen sie nur einen Mann, wie nur einen Leib und ein Leben, so daß kein Gedanken darüber hinaus, kein Verlangen weiter reicht, und sie nicht sowohl den Ehemann in ihrem Gatten lieben als die Ehe selbst. Die Zahl der Kinder zu beschränken oder irgend einen von den Nachgeborenen zu töten, wird für eine Missetat gehalten, hier vermögen gute Sitten mehr als anderswo gute Gesetze. (...)

Alles Weitere nun ist bloße Fabel, zum Beispiel, daß die Hellusier und Oxionen Gesicht und Augen von Menschen, Leib und Gliedmaßen wilder Tiere haben, was ich als unverbürgt unentschieden lasse.

* Aus: Cornelius Tacitus, Sämtliche erhaltene Werke, Phaidon, Essen o. J., S. 78/79 und 91