Der Fall Aldo Moro

Vor 25 Jahren wurde der italienische Politiker ermordet

 

Am Vormittag des 9.Mai 1978 wurde im Kofferraum eines Wagens in Rom die Leiche des italienischen Spitzenpolitikers Aldo Moro entdeckt. Symbolträchtig parkte der Wagen mit dem erschossenen Vorsitzenden der christdemokratischen Partei Italiens in der Via Caetani auf halber Strecke zwischen den Parteizentralen der Democrazia Cristiana (DC) und der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Der unnachgiebigen Haltung dieser beiden Parteien war es zu verdanken, dass der 55 Tage zuvor entführten Moro sterben musste.

 

Am 16. März 1978 überfiel ein Kommando der sozialrevolutionären Stadtguerilla „Brigate Rosse“ (BR) den Fahrzeugkonvoi des DC-Generalsekretärs in der Via Mario Fani im Nordwesten Roms. Vier Leibwächter und der Fahrer wurden durch Schüsse aus Maschinenpistolen sofort getötet, der unverletzt gebliebene Moro in einem Fluchtwagen abtransportiert. Eine unter falschen Namen angemietete Wohnung war zum „Volksgefängnis“ umgebaut worden, in dem Moro bis zu seiner Ermordung gefangenen gehalten und verhört wurde.

 

Am Tag der Entführung fand im italienischen Abgeordnetenhaus die Vertrauensabstimmung zur Bildung einer neuen Regierung unter dem christdemokratischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti statt. Erstmals wurde in die Regierungsmehrheit auch die in der Praxis schon längst sozialdemokratisch ausgerichtete Kommunistische Partei Italiens, die bei den letzten Wahlen 34,6% erhalten hatte, einbezogen, ohne das diese eigene Minister stellte.

Als Architekten dieses „historischen Kompromisses“ gelten der Vorsitzende der KPI Enrico Berlinguer sowie Aldo Moro. Die Erfahrung des blutigen Putsches gegen die chilenische Volksfrontregierung unter Salvador Allende hatte Berlinguer zu der Erkenntnis kommen lassen, dass in Italien nur die Einbeziehung weiter Teile des Bürgertums und seiner politischen Vertretung, der Democrazia Cristiana, ein Reformprojekt ermöglichte. Als Beweis kommunistischer Regierungsfähigkeit hatte er im Dezember 1977 eine Erklärung unterzeichnet, wonach NATO und EG „tragende Pfeiler“ der italienischen Politik bleiben sollten.

Aldo Moro gehörte seit 1946 dem Parlament an. Fünfmal war er Regierungschef und mehrfach Minister gewesen. Innerhalb der DC vertrat Moro den gemäßigt konservativen Flügel. Durch die Hinzuziehung der Kommunisten als Tolerierungspartner hoffte Moro, eine stabile Regierungsmehrheit zu erreichen. Einmal in die Verantwortung genommen würde die KPI zudem schnell wieder an Wählerstimmen verlieren. Als Exponent des NATO-kritischen Flügels der DC ging es Moro zugleich darum, durch geschicktes Lavieren zwischen Ost und West die Souveränität Italiens sowohl gegenüber den USA, als auch den Staaten des Warschauer Paktes zu verteidigen. Mit dieser Politik hatte sich Moro sowohl auf dem rechten, von Andreotti geführten Flügel seiner Partei, als auch in Washington erbitterte Feinde geschaffen. US-Außenminister Henry Kissinger nannte Moro „gefährlicher als Castro“ und unterstellte ihm, „Italien in kommunistische Abhängigkeit“ zu bringen. Kaum verhüllte Morddrohungen schwangen mit, wenn ihn Kissinger als „Allende Italiens“ titulierte. Nicht nur die Roten Brigaden, die im „historischen Kompromiss“ einen Verrat an den Interessen der Arbeiterschaft erblickten, hatten folglich ein Interesse an der Ausschaltung Moros.

 

Regierungschef Andreotti schloss jegliche Verhandlungen mit den Entführern kategorisch aus. Auch die Kommunisten – aus Angst, ihren neu gewonnenen Einfluss wieder zu verlieren – unterstützten diese Linie der „fermezza“ und die massive Einschränkungen demokratischer Rechte unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Die Regierung habe sich zwischen dem Lebens eines Mannes und dem Schutz der Republik zu entscheiden und traurigerweise dürfe es in einer Demokratie keine Zweifel über die zu treffende Wahl geben, schrieb der Chefredakteur der „Repubblica“ Eugenio Scalfari. Papst Pius VI appellierte an die „Männer der Roten Brigaden“, den Gefangenen ohne Bedingungen freizulassen.  Für Verhandlungen mit den BR traten lediglich die Familie Moros, seine engsten Vertrauten sowie die Sozialistische Partei ein.

 

Die BR forderten die Freilassung von 13 inhaftierten Genossen. Mitte der 1990er Jahre erklärte Mario Moretti, der die tödlichen Schüsse auf Moro abgegeben hatte, in einem Interview mit der Journalistin Rossana Rossanda, die BR hätte Moro schon freigelassen, wenn die Regierung nur signalisiert hätte, dass sie die Gefangenen als „politische Gefangene“ anerkenne. Doch durch die unnachgiebige Härte des Staates hätten die BR keine andere Wahl gehabt, als ihren Gefangenen „hinzurichten“, um ihr Gesicht zu wahren. Die BR hatten nicht damit gerechnet, dass die entscheidenden Vertreter des Staatsapparates nicht nur bereit waren, Moro bereitwillig zu opfern, sondern dessen Tod geradezu herbeisehnten.

 

Im „comunicato n.9“ kündigten die BR am 5.Mai den baldigen „Vollzug der Exekution“ an. Beigelegt war ein Abschiedsbrief Moros an seine Frau. Moros Familie, die zuvor mit der DC gebrochen hatte, setzte durch, dass der letzte Wille des Toten respektiert wurde und an seiner Beerdigung keine Vertreter des Staates teilnahmen.

 

Aldo Moro war ein Opfer der antikommunistischen NATO-Doktrin geworden. Ohne eine Selbstaktivität der Roten Brigaden in Frage zu stellen, wird deutlich, dass die Roten Brigaden letztlich nur eine Schachfigur auf dem Spielfeld der Mächtigen in Washington und Rom waren. Dies wurde möglich durch die nach der Verhaftung ihres historischen Gründers Renato Curcio erfolgten strategische Umorientierung. Statt militanter Propaganda ihm Rahmen außerparlamentarischer Massenbewegung und dem Verzicht auf tödliche Aktionen ging die BR unter ihrem neuen führenden Kopf Moretti zum „Angriff auf das Herz des Staates“ über. Die ausschließliche Orientierung auf bewaffnete, meist tödliche Aktionen isolierte die Guerilla von der radikalisierten Arbeiterschaft und öffnete die Tür für die Unterwanderung durch Geheimdienstprovokateure.

 

In den „bleiernen Jahren“ zwischen 1969 und 1987 starben in Italien über 400 Menschen bei Terrorakten. Untersuchungsausschüsse und Prozesse haben in den letzten 15 Jahren weitreichende Erkenntnisse über die Verwicklung von Geheimdiensten in den italienischen Terrorismus ans Tageslicht gebracht. Im Rahmen einer „Strategie der Spannung“ sollte ein autoritäres Regime förmlich herbeigebombt werden. Insbesondere die rechtsgerichtete Geheimloge Propaganda 2, der nahezu alle wichtigen bürgerlichen Politiker, Militärs, Geheimdienstler, Industrielle und Journalisten in Italien angehörten, hatte alles getan, um eine Freilassung Moros und eine Aufdeckung des Falls zu verhindern. Agenten wie Corrado Simioni, der im Auftrag der CIA linksextreme Organisationen unterwanderte, spielten bei der Moro-Entführung von Anfang an eine federführende Rolle. Und schon beim Überfall auf Moros Wagenkonvoi war Oberst Camillo Gugliemli von der NATO-Conterguerilla Gladio als Beobachter vor Ort.

 

Als graue Eminenz der Propaganda 2 galt Giulio Andreotti. Im November 2002 verurteilte ihn ein Gericht in Perugia in zweiter Instanz zu einer Zuchthausstrafe von 24 Jahren wegen Anstiftung zur Ermordung des Journalisten Pecorelli im März 1979. Pecorelli musste sterben, weil er angeblich über die während seiner Gefangenschaft gefertigten Aufzeichnungen Moros verfügte, in denen der Vorsitzende der DC weitreichende Enthüllungen über die geheimen Machenschaften seiner Partei gemacht hatte.

Die DC ist mittlerweile Geschichte. Doch mit Silvio Berlusconi steht heute in Italien ein Mitglied der Propaganda 2 an der Staatsspitze, der ebenso wie Andreotti das Programm einer engen Anlehnung an die USA mit einem entschiedenen Kampf gegen die politische Linke verbindet.

 

Nick Brauns